Kuss der Sünde (German Edition)
steht noch nicht fest. Wie sieht es aus, Olivier, möchtest du diese Aufgabe übernehmen? Es wäre dein letzter Dienst für mich.“
„Sie haben mir die Rolle des königlichen Lakaien versprochen, Madame!“, begehrte Vilette auf. „Diesem Halunken traue ich zu, dass er mit der Schatulle verschwindet.“
„Vilette, du wirst wohl zugeben müssen, dass Monsieur Brionne überze u gender wäre. Die Königin hat eine Vorliebe für große, gut gewachsene Mä n ner, und du versinkst in der Livree.“ Abfällig musterte sie ihren schmächtigen Sekretär.
Dieser verkniff das Gesicht und wurde zu einem unansehnlichen Gnom. Olivier legte keinen Wert darauf, sich in ihm einen unerbittlichen Gegner zu schaffen.
„Die Ehre muss ich ausschlagen, Madame. Zum einen wirke ich vorzug s weise im Hintergrund, zum ander e n ist Ihr Sekretär ein ausgezeichneter Lakai. Die Rolle scheint ihm geradezu auf den Leib geschneidert.“
Wieder mischte sich der Rittmeister ein. „Ich teile Vilettes Meinung, Brionne. Sie betrügen zu gut, um Ihnen über den Weg trauen zu dürfen.“
Olivier stand auf. „Das nehme ich als Kompliment. Wenn Sie mich nun en t schuldigen. Meine Anreise durch den Schnee hat mich ermüdet.“
„Hoffentlich nicht allzu sehr“, säuselte die de La Motte und ergriff seinen Arm.
Dieses unersättliche Weib würde ihm keine Minute Ruhe lassen und alles aus ihm herauspressen. Vermutlich wollte sie in dieser letzten Nacht ihr g e samtes Repertoire auffahren. Seidenfesseln, Federn, eine Perlenkette und e i nen Schmuckring an besonders exponierter Stelle. Sie würde seine Sinne so lange aufpeitschen, bis er kurz davor stand, um Gnade zu betteln. Der gesa m te Haushalt würde wieder einmal hören, was sie mit ihm anstellte. Er hatte nichts dagegen, wie ein Spielzeug benutzt und ständig neu gefordert zu we r den, doch allmählich wurde er ihrer Schamlosigkeit müde und sehnte ein E n de herbei. Mit einem unterdrückten Seufzer ergab er sich seinem Schicksal und einer weiteren schlaflosen Nacht und verließ mit ihr den Salon, verfolgt von den brütenden Blicken der beiden Männer und Nicolettes wissendem Schmunzeln.
„Es treibt sich zu viel Gesindel im Bois de Boulogne herum“, warnte Thibaut de Casserolles.
„Aber doch gewiss nicht um diese Jahreszeit und so früh am Morgen.“
„Landstreicher und Diebespack kümmern sich nicht um die Uhrzeit, meine Teure. Es wäre klüger gewesen, in den Tuilerien auszureiten. Sie wären auch viel näher gewesen.“
Seine Bedenken wurden von einem knappen Seitenblick begleitet, den V i viane mühelos ignorieren konnte. Ihre Reitkleidung verbot einem Ehrenmann kategorisch eine eingehende Musterung. Sie trug Kleidung, die einst ihrem Bruder gehört hatte. Die Reithosen waren etwas kurz, und das Hemd spannte über der Brust. Diese Mängel mussten Casserolles entgehen, da sie unter e i nem warmen Wollumhang verborgen blieben. Vor der klirrenden Kälte schützten sie dicke Lederhandschuhe, gefütterte Reitstiefel, ein Dreispitz und ein Schal, den sie sich über die Nase gezogen hatte. Hoffentlich berichtete er seiner Frau Mutter davon, damit seine Besuche endlich ein Ende fanden. I r gendwie schien er es sich in den Kopf gesetzt zu haben, einer vorgeblich Ne r venkranken den Hof zu machen und sie vor sich selbst zu retten. Ebenso gut konnte natürlich auch sein, dass ihre Mitgift zu verlockend war, um darauf verzichten zu wollen. Lautstark schnäuzte er in ein Taschentuch und steckte es ein.
„Es würde mich nicht überraschen, wenn wir mitten in kriminelle Mache n schaft en oder ein Duell ger ie ten . Der Bois de Boulogne ist berüchtigt für so l cherlei Umtriebe“, sagte er. Sie bogen in einen breiten Waldweg ein. Mit ve r kniffenem Gesicht spähte er in die Bäume hinein, um etwaige Bedrohungen frühzeitig zu sichten.
„Ich kenne diesen Wald nur als beliebtes Ausflugsziel“, entgegnete sie und trabte an.
„Nicht so schnell, meine Teure. Unter dem Schnee könnte der Weg vereist sein.“
Es war das L etzte , was er in der nächsten Zeit von sich gab, da er voll und ganz damit beschäftigt war, sich von ihr nicht abhängen zu lassen. Sie befa n den sich inmitten einer verschneiten Märchenlandschaft. Auf dem Boden lag eine dicke, von menschlichen Spuren unberührte Schneeschicht. Morgennebel zog zwischen den kahlen Bäumen auf, und gleichzeitig stieg die Sonne höher und setzte glitzernde Reflexe in den Schnee. Die tiefe Stille der frühen Stunde wurde einzig
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