Kuss der Sünde (German Edition)
vom gedämpften Hufschlag der Pferde und dem Klirren des Zaumzeuges gestört. Über ihre m Kopf krächzte ein einsamer Rabe. Tief atm e te Viviane die kalte, klare Luft ein. Kälte prickelte auf ihren Wangen .
„Auf keinen Fall sollten wir zu weit in den Wald hineinreiten“, sagte Casserolles, nachdem sie eine weitere Biegung genommen hatten.
Schnurgerade zog sich der Weg durch die Bäume. Es gab keine Anzeichen, dass außer ihnen jemand in der Nähe war. Die weiße Einsamkeit hatte etwas Beflügelndes. Ungebärdig warf Saladin den Kopf zurück. Viviane ließ ihm seinen Willen, gab Zügel und trieb ihn mit einem Schenkeldruck in einen Ka n ter.
„Gütiger Himmel, zügel n Sie den Hengst!“, rief Casserolles in ihrem R ü cken.
Kahle Bäume zogen an ihr vorüber, als sie da s Gegenteil tat und Saladin a n trieb. Der Gegenwind ließ ihre Augen tränen. Sie lehnte sich vor, um der Kä l te weniger Angriffsfläche zu bieten und schnalzte mit der Zunge. Flockiger Schnee flog unter den Pferdehufen auf. Lachend blickte sie über die Schulter zurück und frohlockte. Obwohl Casserolles sich an ihre Verfolgung machte, fiel er zurück.
„Halt!“, gellte seine Stimme durch die eisige Luft. „So halte n Sie doch an! Au Segure! Dort! Der Gaul ist durchgegangen!“
Sein panisches Geschrei hatte einen anderen Reiter alarmiert. Dieser presc h te zwischen den Bäumen hindurch und nahm die Verfolgung auf. Viviane blickte wieder nach vorn und trieb Saladin in den Jagdgalopp. Ein weiterer sichernder Blick über die Schulter, und sie erkannte, dass ihr Verfolger sicher im Sattel saß und sich nicht abhängen ließ. Sein Pferd, größer als Saladin, n ä herte sich in ausgreifenden Sprüngen, bis sich die gedämpften Hufschläge vermischten. Ein brauner Pferdekopf tauchte neben ihr auf. Eine Hand im Lederhandschuh geriet in ihr Blickfeld, streckte sich nach ihren Zügeln. Sie wich zur Seite aus, setzte über einen Graben, preschte durch eine Baumreihe und auf freies Feld. Im Sommer mochte es eine Blumenwiese sein, jetzt war es eine Schneefläche, die sich h ügelabwärts zu einem Tannenwald verschmäle r te. Auf Saladins Rücken jagte sie auf die Deckung zu. Kälte k itzelte in ihrem Gesicht, ließ ihre Augen tränen, doch die Hitze, die aus dem Pferdefell au f stieg, hielt die Winterkälte in Schach. Sie hatte es fast geschafft.
„Wird das ein Wettrennen?“
Ihr Verfolger hatte aufgeholt und blieb dicht neben ihr, ohne ein zweites Mal den Versuch zu unternehmen, sie aufzuhalten. Viviane drehte den Kopf und traf auf ein graues Augenpaar, in dem blanker Übermut funkelte. Casserolles lautes Organ schmetterte durch den Wald, ohne dass er zu sehen war.
„Halt! Zu Hilfe!“
Sie erreichten die Tannen und zügelten ihre Pferde. Zwischen den dichten Zweigen wendete Viviane den Hengst und spähte auf die Lichtung hinaus. Die Hufspuren hatten den Schnee aufgewühlt, wiesen den Weg, den sie g e nommen hatte.
„Tja, ein nutzloses Versteckspiel bei diesem Schnee“, bemerkte der Mann an ihrer Seite.
Was dachte sich dieser Kerl dabei, ihr ein Gespräch aufzudrängen? Eine spitze Bemerkung auf der Zunge bog sie einen Zweig nach unten und muste r te sein Profil. Diese gerade Nase, den festen Mund mit den Fältchen an den Mundwinkeln hatte sie doch schon einmal gesehen. Ach du Schreck, es war dieser betrunkene Lebemann, den sie vor einigen Monaten in einen Mistha u fen gestoßen hatte!
Der Zweig schnellte nach oben, und ein Schneeregen ging auf sie nieder. Sollte er sie erkennen, würde er sie umbringen. Sie erinnerte sich noch zu gut an sein Gebrüll. Eilig zog sie den Wollschal höher und drückte den Dreispitz tiefer ins Gesicht, während er nach vorn wies.
„Da kommt er, Ihr Freund. Er wird die Hufspuren schnell finden.“
Als er ihr das kantige Gesicht zudrehte, funkelte Spott in seinen grauen A u gen. Sie hätte es vorgezogen, nichts zu sagen, doch das wäre zu auffällig.
„Wenn Sie den Chevalier kennen würden, wüssten Sie, dass er Spuren selbst dann übersieht, wenn sie ihm ins Gesicht schlagen“, entgegnete sie mit tiefer Stimme.
„Sind Sie erkältet?“
Sie nickte. Sein Grinsen erinnerte sie wieder an seinen Namen. Olivier. E i nes stand fest, sie würde kein zweites Mal auf sein unbekümmertes Gebaren hereinfallen. Leider bestätigte er die Regel, dass die attraktivsten Männer gleichzeitig den geringsten Anstand besaßen.
„Sie legen wohl keinen gesteigerten Wert auf die Gesellschaft des Chev a
Weitere Kostenlose Bücher