Kuss der Sünde (German Edition)
einen handfesten Hintergrund hat?“, fragte ihr Vater.
„Meine Experten können es nicht mit Sicherheit sagen. Sie haben das Palais von oben bis unten durchsucht. Es wurde kein Geheimfach entdeckt, aber – wie sich im Nachhinein herausstellte – niemand hat daran gedacht, die Wand unter dem Bett einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Ich kann mir in dieser Sache keine Fehler leisten. Wir beide wissen, was davon abhängt.“
„Ihre sogenannten Experten taugen überhaupt nichts!“, brau s te ihr Vater auf. „Sie haben geschludert. Ich ahnte nicht einmal, wie verfahren die Situat i on noch werden könnte, und es liegt allein in Ihrer Verantwortung.“
Sie beugte sich vor und spitzte durch das Schlüsselloch. Der Präfekt saß auf einem Stuhl und hatte der Tür den Rücken zugekehrt. Seine weiß gepuderte Perücke war alles, was sie von ihm sah. Ihr Vater saß ihm gegenüber und u m klammerte die Kante des Schreibtischs. Er war außer sich, sein Gesicht fahl vor Zorn.
„Gut, ich nehme alle Schuld auf mich. Es ändert nichts daran, dass ich am Ende bin. Ich kam in der Hoffnung, dass Sie einen Ausweg wüssten.“
„Was sagt Rohan?“
„Es gibt ein Geheimfach unter seinem Bett, und er hat etwa ein halbes Du t zend der ersten Briefe darin verwahrt. Angeblich verlor er den Schlüssel vor etwa einem Jahr. Wir müssten das Fach aufbrechen.“
Ihr Vater starrte an Thiroux vorbei ins Leere. Viviane zweifelte nicht, dass er in diesem Moment seine Freundschaft zu diesem Mann verfluchte.
Der Polizeipräfekt rutschte an die Kante seines Stuhls und senkte die Sti m me. Flugs richtete sich Viviane auf und presste ihr Ohr wieder an die Tür. „Pompinelle, Ihre Familie zeichnet sich durch uneingeschränkte Loyalität aus. Sie handeln seit vielen Jahren im Sinn e der Königin und sind daher der E inz i ge , dem ich meine Befürchtungen offen eingestehen kann. Bisher konnten wir uns ahnungslos geben, doch der Erpresser weiß von diesen Briefen und ve r langt, dass wir sie zu den Akten nehmen. Sollten wir uns weigern, wird er sich an die Journaille wenden. Gleichgültig, wozu wir uns entscheiden, es wird neue Fragen aufwerfen.“
„Bei Gott, wem sagen Sie das!“, entfuhr es ihrem Vater.
„Angenommen, wir finden Beweismaterial an der angegebenen Stelle, kö n nen wir es nicht einfach verschwinden lassen, sonst geraten wir in den Ve r dacht, den Betrug an den Juwelieren und die Beteiligung der Königin vert u schen zu wollen. Es ist unmöglich!“, setzte der Polizeipräfekt lauter hinzu. „Wir stecken in einem Dilemma, und ich weiß nicht, was ich dagegen unte r nehmen soll!“
„Ich verstehe. Es wäre für alle in den Skandal Verwickelten von Vorteil, wenn bei einer zweiten Durchsuchung nichts gefunden wird und die Polizei zusätzlich mit Zeugen aus der Journaille aufwarten könnte. Damit wäre jeder weitere Erpressungsversuch zwecklos.“
„So ist es. Zwar gehen wir von Fälschungen aus, doch das würde uns beim derzeitigen Stand der Dinge niemand ohne W eiteres glauben.“
„Kann einer Ihrer Männer dieses Problem unauffällig lösen?“
„Das war die erste Frage, die ich mir stellte, und hätte ich eine Antwort g e funden, säße ich nicht vor Ihnen. Die Situation ist prekär. Viel zu prekär, um etwas zu unternehmen, das die Polizei in Verdacht bringt. Die Königin würde ein solches Vorgehen nicht gutheißen, das Pariser Volk würde uns steinigen und meine Karriere wäre am Ende, wenn es publik wird.“
„Was ist mit einem Spitzel ?“
Allmählich begriff sie, worauf ihr Vater hinauswollte . Er dachte an einen Einbruch. An Diebstahl. Und das bei einem Mann, der für Königstreue, Rechtschaffenheit und Ehrgefühl stand. Sie konnte es kaum fassen.
„Unsere Spitzel mögen in vieler Hinsicht nützlich sein, aber für einen so l chen Auftrag sind sie ungeeignet. Wir br a uchen einen Profi. Aber wer würde uns sein Schweigen garantieren?“
Auf diese Frage folgte lange Zeit nichts. Viviane wich zurück und rieb über ihr Ohr. Der Dieb, den der Polizeipräfekt herbeisehnte, war näher , als er ve r mutete. Sie konnte jedes Schloss öffnen. Ohne Dietrich, ohne Brechstange, ohne Haarnadeln. Sie war die perfekte Person für einen solchen Auftrag.
„Kann es sein, dass Sie mich in der irrigen Hoffnung aufsuchten, ich sei mit einem begnadeten Dieb bekannt, Thiroux? Ich bewege mich nicht in der G e sellschaft krimineller Sujets und jede andere Vermutung ist eine Beleidigung meiner Person und meines
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