Kuss der Wölfin 03 - Die Begegnung
nicht lange überleben. Am Anfang fühlst du dich mächtig, stark, als könntest du die ganze Welt beherrschen. Du bist getrieben von Rachsucht. Du willst es denen, die dir immer das Leben schwer gemacht haben, heimzahlen.“
Mandy nickte. Ja, das stimmte. Genauso fühlte sie sich.
„Aber du kennst die Regeln nicht “ , fuhr Utz fort. „ Du weißt nicht, welche Gefahr da draußen lauert. Trinkst du Menschenblut, wirst du stark. Isst du Menschenfleisch, wirst du fast unbesiegbar. Übertreibst du es, ist das dein Tod.“ Utz führte sie durchs Unterholz, bis sie auf einen Weg kamen. Um sie herum war immer noch dichter Wald.
„Weißt du was, Utz? Erzählt mir doch einfach alles, und dann bin ich weg und halte mich an eure Regeln.“
Er knurrte. „Marcus hat dir etwas Besonderes geschenkt, Mandy. Und man nimmt nicht einfach ein Geschenk an und haut ab.“
Sie lachte. „Aha. Und das sagst du mir?“ Tief in ihrem Inneren ahnte sie, dass Utz sich nicht an ihr vergreifen würde. Sie durfte es nur nicht übertreiben. Aber es machte ihr Spaß, endlich sagen zu können, was ihr auf der Seele brannte. Viel zu lange hatte sie sich alles gefallen lassen. War freundlich zu jedermann gewesen. Hatte wohl gewusst, dass die Kolleginnen im Büro sie verspotteten, hinter ihrem Rücken über sie lästerten. Einmal alle Hemmungen fallen zu lassen, war ein unglaublich befreiendes Gefühl. Doch Utz lachte, ging weiter den Weg entlang, bis sie an ein hohes, schmiedeeisernes Tor kamen. Utz schob es auf und winkte Mandy hindurch.
Der Weg hinter dem Tor war mit Unkraut überwuchert. Zwischen den Bäumen erkannte Mandy ein altes, verfallenes Haus, an dem kein Fenster intakt war. Die hölzerneren Läden hingen schief und verrottet hinab. Runde Erker zierten das Gebäude, und aus einem von ihnen starrte jemand zu ihnen hinunter. Mandy fühlte sich wie in einem Horrorfilm. Mehrere Wölfe kamen in geduckter Haltung auf sie zu. Nein, nicht auf sie. Auf Utz. Sie zählte fünf Wölfe, deren Fell struppig von ihrem Körper abstand. Einem fehlte ein Stück vom Ohr, einer hatte nur noch ein Auge. Sie sahen verwildert und gefährlich aus und sie hätte ihnen nicht im Wald begegnen mögen. Als sie endlich bei ihnen ankamen, senkten sie ihre Häupter, strichen um seine Beine und er legte seine Hand auf einen der Köpfe.
„Wir sind nur übergangsweise hier“, erklärte er. „Ich muss gleich los, aber ich werde dich an Sindbad übergeben.“
„Sindbad?“ Amüsiert kicherte sie in sich hinein.
„Eigentlich Sin A´d Habi. Wir nennen ihn Sindbad, ist einfacher. Er kommt in der Rudelfolge direkt nach mir und Roderick.“ Als er ihren fragenden Blick sah, antwortete er: „Das ist der andere gewesen, den du vorhin gesehen hast. Ich und er sind die ältesten im Rudel und Marcus engste Vertraute. Und du gehörst jetzt zum inneren Kreis.“ Er spuckte das „zum inneren Kreis“ verächtlich hinaus. Mandy wusste, dass er sie hasste.
Ist ja nichts Neues
, dachte sie.
Kenn ich ja bereits
. Dennoch straffte sie die Schultern. Utz scheuchte die Wölfe weg und ging vor zum Eingang.
Knöterich hatte das Haus fest in seinem Griff, auch Efeu presste seine dicken, verkrümmten Stämme an die Hauswand. Die Wölfe folgten ihnen, setzten sich auf die hölzerne Veranda, die einmal sicher sehr hübsch gewesen war, und wirkten angespannt, so als warteten sie auf einen Befehl von Utz.
Mandy folgte Utz ins Haus. Der heruntergekommene Eindruck wurde im Inneren noch verstärkt. Durch die Fenster fiel Mondlicht in das Innere und leuchtete jeden Winkel aus. Ein Kristallleuchter hing lose von der Decke und würde sich vermutlich bald lösen und auf den Dielenboden krachen. In einem offenen, riesigen Kamin loderte ein Feuer. Einige Männer saßen davor, blickten neugierig auf. In einer anderen Ecke schliefen einige.
Von oben näherten sich Schritte. Ein dunkelhäutiger Kerl hüpfte leichtfüßig die baufällige Treppe hinunter, flankte dann über das Geländer und landete geschmeidig direkt vor Mandy. War das Sindbad? Sein pechschwarzes Haar fiel knapp auf die Schultern, war seidig glatt und er erinnerte sie eher an Mogli. Er war nackt wie alle hier. „Sindbad, das ist Mandy “ , sagte Utz.
„ Sie ist Marcus‘ Gefährtin“, fügte er warnend hinzu, als er Sindbads Blick bemerkte, wie dieser über die wohlgeformten Rundungen glitt. „Bitte weise sie ein. Wir werden nun die Geisel eintauschen.“ Wie auf Kommando ertönte draußen eine Hupe. „Da sind
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