Kuss des Apollo
im Film, den Namen der Schauspielerin hatte sie vergessen. Geraldine Chaplin gab ihre Kontrahentin. Auf Anhieb hätte Jana es nicht mehr gewusst, das musste sie zugeben. Sie musste Herbert später unbedingt fragen, was er noch alles über diesen Film in Erinnerung hatte.
»Pasternak bekam den Nobelpreis«, erzählte Will. »Aber er durfte nicht ausreisen, um ihn entgegenzunehmen. Gott, waren das beschissene Zeiten.«
Erstaunlicherweise sagte Evi: »Ich habe den Film gesehen. Er war einfach toll.«
»Aber, Evi, dazu bist du noch viel zu jung. Und du hast den Film doch wohl kaum in der DDR gesehen.«
Darauf ging Evi nicht näher ein, sie sprach selten über ihre Jugend hinter der Mauer.
»Ich war mal zur Kur. In Bad Wörishofen, und da lief der Film in einem Kino. Er war wirklich wunderbar.«
»Du warst zur Kur, Evi?«, fragte Will.
»Es ist mir ja nicht immer so gut gegangen wie in diesem Haus. Ich habe damals als Serviererin in einer Raststätte gearbeitet. Ich hatte immer so dicke, geschwollene Beine. Damals. Heute nicht mehr.«
Sie streifte ihren Rock hoch und zeigte ihre Beine, die schlank und sogar ziemlich schön waren.
»Man war sehr freundlich zu den Flüchtlingen von drüben. Und da bekam ich eben die Kur. Im kalten Wasser waten und so. Hat mir sehr gut getan.«
Evi war Ende der Siebzigerjahre auf abenteuerliche Weise über Bulgarien in die Bundesrepublik geflohen. Aber sie sprach nicht darüber, wie es dazu gekommen war.
Jana warf einen flüchtigen Blick in die Runde. Der Regisseur machte ein ziemlich dummes Gesicht. Zu
Dr. Schiwago
fiel ihm offenbar nichts ein. Herbert nickte ihr zu. Will lächelte.
Ihr Gegenüber, Geri, Geraldine, blickte verständnislos. Sie ist eben dumm, dachte Jana.
»Zum Dessert gibt es nicht viel«, sagte sie. »Obstsalat. Oder Ananas mit Eis.«
»Ananas ohne Eis«, sagte Will.
»Gut. Und den Kaffee oder Espresso trinken wir im Gartenzimmer.«
Amphitryon, Zeus und Alkmene
Als sie im Gartenzimmer saßen, kam Will gleich zum Anlass des Abends.
»Sie wollen also einen neuen Amphitryon-Film drehen«, sagte er zu Sebastian.
»Ich will keinen neuen Amphitryon-Film drehen, ich will einen Film über den Amphitryon-Stoff machen«, sagte Sebastian bestimmt.
»Soviel ich weiß, gab es darüber schon einen Film.«
»Das ist lange her, irgendwann in den Dreißigerjahren.«
Jana und Herbert tauschten einen Blick. Sie hatten sich zur Vorbereitung auf diesen Abend das Video besorgt. Es war ein alter UFA-Film, der junge Willy Fritsch spielte mit und daneben die sehr junge, noch ganz unbekannte Käthe Gold. Der Film war bezaubernd, aber sie würden sich hüten, jetzt davon zu sprechen.
»Der Amphitryon-Stoff ist immer wieder aufgegriffen worden«, fuhr Sebastian eifrig fort. »Es ist ja auch eine ungeheure Geschichte. An die vierzig Stücke und Bücher gibt es darüber. Heißt es. Giraudoux nannte sein Stück
Amphitryon 38,
weil es angeblich die achtunddreißigste Version ist. Auch ihm ist es nicht besonders gut gelungen. Das Stück, von dem es heißt, es sei das erste, ist von Plautus. Ich habe es gelesen, es ist schrecklich, eine einzige Sauerei. Wir kennen Molière und Kleist, und beide werden dem Stoff nicht gerecht. Auch Kleist nennt es ein Lustspiel. Ich frage, was ist lustig daran? Es ist die Geschichte eines Betruges, und auch wenn ein Gott der Betrüger ist, kann ich es nicht lustig finden. Trotz des ganzen Drumherums, der Streit, die Schlägereien, die Verwirrung aller Beteiligten, zum Lachen ist das alles nicht. Jedenfalls nicht für mich.
Geri und ich, wir haben es damals anders gesehen und darüber gesprochen. Darum habe ich Geri mitgebracht, als meine Zeugin gewissermaßen.«
Alle schwiegen und blickten Geraldine an, aber die schwieg auch. Evi, die den Kaffee serviert hatte und nun mit der Cognacflasche die Runde machte, blickte verständnislos von einem zum anderen.
»Ich habe auch Kirschwasser. Und eine alte Pflaume …« Sie stockte. »Vieille Prune, meine ich.« Mit solchen Wörtern tat sie sich immer noch etwas schwer. »Und Marillengeist«, fügte sie hinzu.
»Dann für mich eine Marille«, bat Will. »Ich hoffe, sie kommt aus Österreich.«
»Wenn wir hier auch in Berlin sind«, sagte Herbert Frobenius heiter, »wissen wir doch, was sich gehört. Marille nur aus Österreich.«
Jana blickte hinaus in den Garten. Es war inzwischen dunkel, nur die Laterne, die an der Hausecke hing und ein wenig im Wind schaukelte, warf flüchtiges Licht auf die Bäume.
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