Kuss des Apollo
meine Dämlichkeit. Wenn jemand anruft und fragt, ob er diesen oder jenen mitbringen darf, ist es schwierig, einfach abzulehnen.«
»Wenn ich am Telefon gewesen wäre, hätte ich es getan.«
»Du machst es dir leicht. Wie hättest du es denn formuliert?«
»Du denkst doch nicht, dass mir das schwergefallen wäre? Ich hätte gesagt, ich will mit meinem Freund ein Gespräch über die Finanzierung dieses Films führen, und Sie als Drehbuchautor und Regisseur müssen dabei sein, um alles zu erklären. Vom Fernsehen können wir für dieses Projekt nichts erwarten. Aber Ihre Freundin können wir bei diesem Gespräch nicht brauchen.«
»Ja, du hast recht. Vom Fernsehen können wir nichts erwarten.«
»Warum eigentlich nicht? Du hast es gar nicht versucht. Irgendwie könnten die doch auch wieder einmal zur Bildung der Menschheit beitragen. Jeden Abend, den Gott werden lässt, erleben wir Schwachsinn auf dem Bildschirm. Sind die Menschen wirklich so blöd, wie die meinen? Die alten Griechen sind doch immer noch aktuell. Ich habe erst neulich eine Dokumentation über Schliemanns Ausgrabungen gesehen. Im Fernsehen. Fand ich ungemein spannend.«
»Ja, eine Dokumentation. Keinen Spielfilm.«
»Überleg doch mal, wie viele Filme und Theaterstücke es über Odysseus und Orest und Elektra gegeben hat. Die Amerikaner waren da ganz groß. Wie hieß damals das Stück?
Mourning Becomes Electra
, nicht?
Trauer muss Elektra tragen.
Und dann, das war doch ganz toll:
Der Trojanische Krieg findet nicht statt
, so ähnlich hieß das doch? Das war Giraudoux.«
»Das ist eine ganze Weile her.«
»Damals gab es eben noch gutes Theater, nicht so ein selbstverliebtes Regietheater wie heute. Und Richard Strauss, er hat auch eine
Elektra
geschrieben, die gehört bis heute in jedes bessere Repertoire. Und
Iphigenie
…«
»Bitte, fang nicht noch mit Goethe an.«
»Gut, reden wir von Kleist. Diese Amphitryon-Geschichte ist nun mal ein dolles Ding. Ich hoffe nur, dein Genie will seine Freundin nicht die Alkmene spielen lassen.«
»Sie ist nicht seine Freundin.«
»Was denn dann?«
»Oder gerade doch. Sie ist jedenfalls nicht seine Geliebte.«
»Ja, was denn dann?«
»Sagen wir mal, sie war es.«
»Wenn ich mir die bescheidene Frage erlauben darf, wer oder was ist sie nun?«
»Ein grässliches Frauenzimmer.«
»Du nennst sie ein grässliches Frauenzimmer, ein dämliches Frauenzimmer, was findet er eigentlich an ihr?«
»Sie ist weder hübsch noch klug, schon gar nicht begabt, sie ist …«
»Halt, halt, du sollst sie mir nicht beschreiben. Sie ist heute Abend unser Gast, und ich will mir selbst ein Urteil bilden. Was ist sie für ihn?«
»Ich glaube er hat ein schlechtes Gewissen. Anfangs war es wohl eine Affäre. Seine erste Anstellung als Dramaturg, ihr erstes Engagement als Schauspielerin, irgendwo in der Provinz. Er hat sie verlassen …«
»Ich weiß. Ist er jetzt wieder mit ihr zusammen? Sind die beiden ein Paar?«
»Keineswegs. Ich kenne seine derzeitige Freundin, sehr attraktiv, sehr erfolgreich. Sie ist Sängerin hier an der Deutschen Oper. Sie singt zwar noch nicht die Elektra, um bei deinem Beispiel zu bleiben, aber die Musette.«
»Auch keine leichte Partie. Also, wie verhält es sich mit der Frau, die Eisenstein heute mitbringt?«
»Du sollst ihn nicht immerzu veralbern. Erst Genie, jetzt auch noch Eisenstein.«
»Ist eben der berühmteste Regisseur, der mir auf die Schnelle einfällt. Also, was bindet Sebastian Klose an diese Frau?«
»Wie gesagt, vermutlich sein schlechtes Gewissen. Sie hat ihn geliebt, er hat sie verlassen, sie war sehr jung damals, hatte gerade die Schauspielschule besucht und kam beim Publikum überhaupt nicht an. Er nennt sie unbegabt. Unter uns natürlich nur.«
»Darum beschäftigt er sie um jeden Preis. Sehr logisch.«
»Sie hatte lange kein Engagement mehr, es ging ihr gesundheitlich nicht gut.«
»Eine Abtreibung«, sagte Jana. Es war keine Frage.
»Wie kommst du darauf?«
»Wenn er ein schlechtes Gewissen hat, liegt die Vermutung nahe.«
»Davon hat er nie gesprochen.«
»Wie sollte er. Vielleicht hat er es erst erfahren, nachdem er sie verlassen hatte. Sie war krank, vielleicht auch sehr unglücklich, und nun hat er ständig das Bedürfnis, ihr zu helfen.«
»Seit er Filme macht und für das Fernsehen arbeitet, hat er es immer verstanden, ihr einen Job zu verschaffen, aber nur kleine Rollen, mehr ist nie drin.«
»Und jetzt will er sie eben auch in diesem Film unterbringen.
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