Kuss des Feuers
Dienerin, als sie den Raum verließ, bereitete Miranda Sorge. Mit hochgezogenen Beinen setzte sie sich hin und öffnete die Schachtel.
Eine Visitenkarte glitt heraus, die sie sofort erkannte. Verärgert registrierte sie, dass er auf der Rückseite ein paar Zeilen in seiner schrägen Schrift hingekritzelt hatte.
Jede Frau verdient es, gewappnet in die Ehe zu gehen. Eines Tages wird Archer mir danken. Auch wenn er es nie zugeben wird.
Ich
Dass McKinnon sich so viel Gedanken um Archers Wohlergehen machte, ließ sie kalt und verwirrte sie. Mit zitternder Hand warf sie die Karte zur Seite und griff in die Schachtel. Ein goldener Rahmen kam zum Vorschein. Sie drehte ihn um, und in ihren Ohren hörte sie plötzlich ein Summen. Vor ihr lag ein geliebtes, unverwechselbares Gesicht, dargestellt mit akkuratem, meisterhaftem Pinselstrich. Es besaß dieselben spöttisch hochgezogenen Augenbrauen, die gleiche sanft gerundete Nasenspitze und die schönen grauen Augen, die einen amüsiert anschauten. Archer. Als sie einen winzigen schwarzen Punkt genau über seiner linken Augenbraue erspähte, stieß sie ein wütendes Schnauben aus. Archers Schönheitsfleck – oder eher ein Mal. Denn er hatte ja darauf beharrt, dass Männer keine Schönheitsflecken besäßen. Archer trug eine doppelreihige Weste, einen Gehrock mit Schwalbenschwänzen und einen hohen, engen Kragen. Ein Mann aus früheren Zeiten.
Auch wenn sie sich einen Grund für seine antiquierte Kleidung hätte ausdenken können, war das Datum auf dem Portrait, doch nicht zu übersehen: 1810. Ebenso wenig wie das gravierte Plättchen, auf dem stand: LORD BENJAMIN ARCHER, DRITTER BARON ARCHER VON UMBERSLADE . Es könnte alles ein Trick sein. Doch im Herzen wusste sie, dass dem nicht so war. Sie hatte sich anlügen lassen. Weil es so einfacher gewesen war.
Sie zog weitere Papiere aus der Schachtel, und ihre Augen erfassten die wichtigen Details, als würde jeweils ein Schlaglicht auf sie fallen: BENJAMIN ARCHER, BRUDER VON RACHEL, KARINA, CLAIRE UND ELIZABETH. SOHN VON KATORINA UND WILLIAM. LORD BENJAMIN ARCHER KOMMT AUS ITALIEN ZURÜCK. LORD ARCHER NIMMT AN ELIZABETHS BEISETZUNG TEIL . Und dann der letzte Punkt, der allem die Krone aufsetzte: LORD BENJAMIN ARCHER BRICHT NACH AMERIKA AUF, 20. OKTOBER 1815 .
Archers Familie. Archers Verlust. Archers Lüge. Natürlich hatte er sie angelogen.
Mit ungeschickten Fingern sammelte sie die Papiere wieder ein und packte sie weg. Ein Gedanke ging ihr immer wieder durch den Kopf und verursachte ihr Übelkeit. Benjamin Archer war seit 1815 unverändert durchs Leben gegangen. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er die ganze Zeit nach einem Heilmittel gesucht hatte – und gescheitert war. Noch quälender war jedoch eine andere Frage: Was für körperliche Folgen würde es für Archer haben, sollte er jemals ein Heilmittel finden?
Er kam kurz nach drei nach Hause zurück. Sie hörte, wie er Gilroy unten leise begrüßte und dieser dann schnell die Treppe hochgelaufen kam. Das Herz schlug ihr bis zum Hals bei dem Gedanken, ihm jetzt gegenüberzutreten. Sie hatte den ganzen Tag wie eine Statue dagesessen, kaum in der Lage, zu denken oder zu atmen. Sie hatte nur warten können. Nun rutschte sie ans Fußende des Bettes und setzte die Füße auf den Boden. Ihr fester Entschluss, Archer zu sagen, was sie auf dem Herzen hatte, stählte ihr den Rücken. Kurz darauf öffnete sich die Verbindungstür zu seinem Zimmer. Sein Blick wanderte sofort zu ihr, und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Es hat ungewöhnlich lange gedauert«, erklärte er und schloss die Tür hinter sich.
Als er näher kam, riss er sich die seidene Maske vom Gesicht. Mirandas Entschluss geriet leicht ins Wanken, als sie sah, mit welcher Freude er das tat. Es war das erste Mal, dass er die Maske vor ihr abgezogen hatte. Seine Augen waren mit schwarzem Kajal umrandet, Mirandas Lippen zuckten.
»Du siehst wie ein Bandit aus«, meinte sie, als er sich über sie beugte, um sie zu küssen.
Archer zögerte und wusste nicht, ob er das Gesicht zu einem Lächeln oder einer Grimasse verziehen sollte. »Stimmt.« Er hauchte ihr einen Kuss auf die Nasenspitze und ging dann auf ihr Badezimmer zu, wobei er sich ungeduldig aus seiner Jacke schälte. Sein Hals schnürte sich zu, als er merkte, dass sie hinter ihm hersah.
Keine Minute später kam er schon wieder heraus. Er hatte sich das Gesicht gewaschen und trug jetzt nur noch Unterhose und Hemd. »Ist es
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