Kuss im Morgenrot: Roman
Morgen danach, wenn sein erster Gedanke nach dem Aufwachen darin bestand, wie er sich am schnellsten aus dem Staub machen konnte, ohne die andere Person zu kränken.
Dieser Morgen jedoch war anders als alle vorangegangenen. Leo hatte die Augen aufgeschlagen und sich mit Catherine Marks im Bett wiedergefunden, und es gab keinen anderen Ort auf der Welt, an dem er lieber gewesen wäre. Sie schlief noch tief und fest auf der Seite, und eine ihrer Handflächen zeigte nach oben. Ihre Finger kräuselten sich wie die Blütenblätter einer Orchidee nach oben. Morgens war Catherine wunderschön, zerzaust, entspannt und vom Schlaf gerötet.
Sein faszinierter Blick wanderte über ihren Körper. Er hatte noch nie einer Frau so viel von sich anvertraut, aber er wusste, dass seine Geheimnisse bei ihr gut aufgehoben waren. Und ihre bei ihm. Sie waren wie füreinander geschaffen. Was auch immer jetzt mit ihnen geschehen würde, die Zeit ihrer ständigen Streitereien war vorbei. Sie wussten zu viel voneinander.
Leider war die Sache mit ihrer Verlobung alles andere als geregelt. Leo wusste, dass Cat nicht annähernd so überzeugt von ihrer Verbindung war wie er. Außerdem würde Harry Rutledge noch über seine Meinung befragt werden müssen, und bislang hatte Leo die Meinungen seines Schwagers nicht unbedingt geteilt. Es war sogar möglich, dass Harry Cat in ihrem Vorhaben unterstützte, den Kontinent zu bereisen.
Leo runzelte leicht die Stirn, als er darüber nachdachte, wie ungeschützt sie bislang durchs Leben gegangen war. Wie konnte es sein, dass eine Frau, die so viel Liebe verdiente, stets so wenig davon bekommen hatte? Er wollte sie für alle Entbehrungen entschädigen. Er wollte ihr alles geben, was man ihr so lange vorenthalten hatte. Die Kunst würde sein, sie davon zu überzeugen, es zuzulassen.
Catherines Gesicht war friedlich, die Lippen leicht geöffnet. Wie sie so dalag, in die weiße Bettdecke eingekuschelt, eine rosige Schulter entblößend, mit ihrem goldenen Haar, das sich überallhin ausbreitete, sah sie aus wie ein Konfekt inmitten von Sahnelocken.
Am Fußende des Bettes raschelte es, als sich Dodger auf den Rand der Matratze hievte und an Catherine hochkroch. Sie räkelte sich und gähnte und tastete nach dem Tierchen, um es zu streicheln. Das Frettchen rollte sich an ihrer Hüfte zusammen und schloss die Augen.
Catherine wachte langsam auf und streckte sich. Sie schlug die Augen auf und blickte Leo verwundert an. Sie schien sich zu fragen, was sie hier mit ihm machte. Eine entwaffnende Unschuld lag in ihrem Blick, mit dem sie ihn betrachtete, während sie sich sammelte. Zögernd streckte sie eine kalte Hand nach seiner Wange aus und begutachtete die Bartstoppeln, die ihm über Nacht gewachsen waren. Und mit leiser, erstaunter Stimme sagte sie: »Du bist ja so stachlig wie Beatrix’ Igel.«
Leo küsste ihre Handfläche.
Catherine schmiegte sich vorsichtig an ihn. Ihr Atem brachte sein Brusthaar zum Erzittern, als sie fragte: »Reisen wir heute weiter nach London?«
»Ja.«
Sie schwieg eine Weile, dann wollte sie plötzlich wissen: »Willst du mich immer noch heiraten?«
Er hielt ihre Hand in seiner. »Ich bestehe darauf.«
Sie wandte das Gesicht ab, so dass er es nicht sehen konnte. »Aber … Ich bin nicht wie Laura.«
Leo war einigermaßen überrascht von der Bemerkung. »Nein«, sagte er freiheraus. Laura stammte aus einer liebevollen Familie. Sie kannte nichts anderes als ihr idyllisches Leben in dem kleinen Dorf. Sie hatte nie die Angst und den Schmerz erfahren, der Catherines Kindheit beherrscht hatte. »Du gleichst Laura genauso wenig wie ich dem Jungen, der ich damals war«, fuhr er fort. »Inwiefern ist das von Bedeutung?«
»Vielleicht wärst du mit jemandem wie ihr besser dran. Jemanden, den du …« Sie hielt inne.
Leo schlang die Arme um seinen Körper und blickte ihr in die Augen. »Jemanden, den ich liebe?«, beendete er den Satz für sie und beobachtete, wie sie die Stirn in Falten legte und unsicher auf ihrer Unterlippe kaute. Er wollte in diesen perfekten kleinen Mund beißen und an ihm saugen, als handelte es sich um eine saftige Pflaume. Stattdessen fuhr er mit der Fingerspitze die Konturen ihrer Unterlippe nach. »Ich habe dir schon einmal gesagt: Ich liebe wie ein Verrückter«, erklärte er. »Maßlos, eifersüchtig, besitzergreifend … Ich bin absolut nicht auszuhalten.«
Er ließ die Rückseite seiner Finger über ihr Kinn und ihren Hals gleiten und bemerkte das
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