Kuss mich kuss mich nicht
über den halbdunklen Raum.
»Warum nicht?«
Als sie weiterschwieg, schwang er sich aus dem Bett und zog seine Hose an.
»Wo willst du hin?«
»Ich weiß nicht, was in deiner Vergangenheit geschehen ist, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas derart Schlimmes war, dass du es mir nicht erzählen kannst.«
»Jack, bitte sei nicht so.« Sie streckte ihre Arme nach ihm aus, doch er machte einen Schritt zurück und schob seine gesunde Hand in den Ärmel seines Hemds. »Hör zu, ich weiß nicht, warum du einen derartigen Wirbel darum machen musst. Schließlich hast du noch nicht endgültig entschieden, ob du kandidieren willst, oder?«
Er sah sie böse an. »Worüber ich mir momentan Gedanken mache, ist, wie wenig Vertrauen du zu mir hast.«
»Aber ich vertraue dir.«
»Dann sprich mit mir.«
Sie schwieg erneut, und er wandte ihr den Rücken zu.
»Verdammt«, murmelte er, während er in seine Slipper stieg. »Ich war überzeugt davon, dass du mir gegenüber immer ehrlich bist. Ich kann einfach nicht glauben, was du jetzt für ein Theater machst.«
Was machte sie denn für ein Theater? Als hätte sie darum gebeten, Tochter eines Vaters zu sein, der über ihre bloße Existenz entsetzt gewesen war.
Mit einem Mal empfand sie heißen Zorn, sprang aus dem Bett und hüllte sich in eine Decke ein.
»Worum geht es dir wirklich, Jack? Machst du dir nur Sorgen um uns? Oder hast du vielleicht Angst, dass dein Erfolg bei den Wählerumfragen durch mich geschmälert wird?«
Er hielt mitten in der Bewegung inne. »Ich werde versuchen zu vergessen, was du da gerade gesagt hast.«
Sie kniff die Augen zu und wünschte sich, sie könnte diesen Satz zurücknehmen.
»Es tut mir leid.«
»Mir auch.« Damit marschierte er zur Tür.
»Jack, warte …«
»Ich möchte jetzt lieber nicht mehr reden, wenn du nichts dagegen hast.«
Nachdem er gegangen war, setzte sich Callie wieder aufs Bett, machte die Augen zu und spürte dem wilden Klopfen ihres Herzens nach.
Sie war so darauf gedrillt, das Geheimnis ihres Vaters zu bewahren, dass sie sich nicht vorstellen konnte, jemandem seinen Namen zu enthüllen. Nicht mal Jack.
Gott, wie früh und gut hatten ihre Eltern sie darauf trainiert.
Sie konnte sich daran erinnern, dass sie, als sie elf gewesen war, mit ihrer Mutter an der Grand Central Station gestanden hatte. Während sie auf ihren Zug gewartet hatten, hatte sich in ihrer Nähe ein Geschäftsmann die Schuhe putzen lassen. Der Mann hatte eine Zeitung vor dem Gesicht gehabt, aber sie hatte gewusst, dass er jemand wie ihr Vater war, weil er dieselbe Art von Kleidern trug.
Sie hatte ihn beobachtet und sich gefragt, was für ein Gefühl es war, sich die Schuhe putzen zu lassen, während man sie an den Füßen hatte, als er plötzlich die Zeitung umgeblättert hatte, woraufhin ein Foto ihres Vaters auf der Rückseite zu sehen gewesen war. Aufgeregt war sie zu dem Mann gelaufen und hatte ihm stolz erklären wollen, wer ihr Vater war.
Ihre Mutter hatte sie zurückgezerrt und dem Mann lächelnd erklärt: »Sie denkt, dass jeder Mann, der eine Krawatte trägt, ihr Vater ist.«
»Das tue ich nicht.«
»Bitte entschuldigen Sie uns.«
Der Mann hatte genickt und sich wieder seiner Lektüre zugewandt, aber während Callie von ihrer Mutter fortgezogen worden war, hatte er eine Ecke seiner Zeitung sinken lassen und ihnen nachgesehen. Ihre Mutter hatte seinen neugierigen Blick bemerkt, Callie in eine Ecke gedrängt und ihm so gut es ging die Sicht auf sie versperrt.
Sie war völlig außer sich gewesen und hatte sie angefaucht: »So etwas darfst du nicht tun. Du weißt doch, dass dein Vater ein Geheimnis ist. Ein Geheimnis, von dem niemand außer uns dreien etwas wissen darf.«
Natürlich hatte Callie das gewusst, allerdings war sie es einfach leid gewesen, jedes Mal den Mund zu halten, wenn die Sprache auf ihren Erzeuger kam. Niemand außer ihr musste vor aller Welt verbergen, wer sein Vater war.
»Ich habe es doch nur einem Fremden erzählt.«
»Aber was passiert, wenn man ein Geheimnis ausplaudert?«, hatte ihre Mutter sie gefragt.
»Dann braucht man es nicht länger zu bewahren«, hatte sie erwidert und trotzig die Hände in die Hüften gestemmt.
»Nein. Nein – Callie, sieh mich an. Soll ich dir sagen, was passiert, wenn man ein Geheimnis verrät? Dann verliert man etwas ganz Besonderes.«
Callie hatte starrsinnig den Kopf geschüttelt. Sie hatte von den ständigen Ermahnungen und dem dämlichen Geheimnis endgültig
Weitere Kostenlose Bücher