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Kuss mich kuss mich nicht

Kuss mich kuss mich nicht

Titel: Kuss mich kuss mich nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bird Jessica
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genug gehabt. Vor allem hatte sie noch nicht einmal etwas davon, dass sie immer ein braves Mädchen war. Denn obwohl sie immer tat, was man ihr sagte, sah ihr Vater ihr noch nicht mal in die Augen, wenn er bei ihnen erschien.
    »Ich meine es ernst, Callie.«
    In dem Moment war es ihr vollkommen egal gewesen, wie streng ihre Mutter war. »Na und? Selbst wenn ich Daddy verliere, wenn ich jemandem von ihm erzähle, wen interessiert das schon?«
    Ihre Mutter hatte ihre Schultern gepackt und ihr Gesicht so dicht an sie herangeschoben, dass sich ihre Nasen fast berührt hatten. »Wenn du jemandem von ihm erzählst, werden wir beide ihn verlieren«, hatte sie erklärt, und als Callie in ihr bleiches Gesicht gesehen hatte, hatte sie resigniert.
    Callie kehrte in Gedanken in die Gegenwart zurück und hörte, wie Artie im Schlaf auf die Jagd nach Murmeltieren ging. Sie blickte über den Bettrand, sah, dass seine Pfoten zuckten, und hörte das aufgeregte Fiepen, das aus seiner Kehle drang.
    Gott, sie wünschte sich, sie könnte etwas anderes von sich erzählen. Doch das konnte sie nicht.
    Und das jahrelange, sorgsam antrainierte Schweigen brach sich nicht so leicht. Nachdem sie ihr Geheimnis ein Leben lang gehütet hatte, fühlte es sich irgendwie nicht richtig an, es einem Menschen zu erzählen, selbst wenn dieser Mensch Jack Walker war.
    Wenn sie sich einem Menschen anvertrauen konnte, dann ja wohl auf alle Fälle ihm.
    Aber was war mit der Wahl? Mit den Medien? Es war gar nicht sicher, dass ein Journalist ihr auf die Schliche kommen würde. Wäre sie jedoch bereit, das Wagnis einer Enthüllung einzugehen, obwohl dadurch nicht nur der Seelenfrieden, sondern auch die Sicherheit ihrer Schwester in Gefahr geriet?
    Artie zuckte zusammen und stieß ein halbes Bellen aus.
    »Wach auf«, murmelte sie, beugte sich erneut über den Bettrand und tätschelte den Hund. »Los, wach auf.«
    Er machte vorsichtig die Augen auf und sah sie dankbar an. Vielleicht hatten dieses Mal ja die Murmeltiere Jagd auf ihn gemacht.
    Plötzlich hatte sie das Gefühl zu wissen, wie das war. Sie war schon seit geraumer Zeit vor dem zweifelhaften Erbe ihres Vaters auf der Flucht, aber verdammt, bisher hatte die Geschichte sie noch immer eingeholt.
    Sie strich Artie über den Kopf, bis er die Augen wieder schloss, drückte ein Kissen gegen das Kopfteil des Betts, lehnte sich dagegen, starrte auf den Caravaggio über dem Kamin und wog in der Stille ihres Zimmers ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart gegeneinander ab.

19
    A m nächsten Morgen leinte Callie Artie an, verließ, kaum dass es dämmerte, das Haus, und als sie wieder zurück nach Buona Fortuna kamen, war der Hund völlig erschöpft. Im Gegensatz zu ihr brauchte er keine Angst oder Enttäuschung abzubauen, zwei Gefühle, die den Menschen ebenso viel Energie spendeten wie Raketentreibstoff oder Koffein.
    Sie waren kilometerweit am Straßenrand entlangmarschiert, hatten aber in Weston wieder kehrtgemacht, denn egal, wie aufgedreht sie war, könnte sie wahrscheinlich bis an die Grenze von New Hampshire laufen, ohne dass sie dadurch etwas anderes erreichte als diverse Löcher in den Sohlen ihrer Schuhe. Und vor allem hing dem armen Artie vor lauter Überanstrengung auch so bereits die Zunge aus dem Hals.
    Als sie sich Buona Fortuna näherte, stand die Garagentür auf, und Mrs Walkers Jaguar war nirgendwo zu sehen. Das hieß, dass Jack schon losgefahren war. Er hatte es sich angewöhnt, Mercedes’ Jaguar zu fahren, weil der ein automatisches Getriebe hatte, das sich mit einem gebrochenen Arm problemloser bedienen ließ. Sie war enttäuscht, die Parkbucht leer zu sehen, da sie jetzt keine Gelegenheit mehr hätte, sich bei ihm zu entschuldigen.
    Sie ließ Artie in die Küche, wünschte Thomas einen guten Morgen und ging in ihr Atelier.
    Kaum hatte sie die große Lampe angemacht und sich vor ihren Tisch gesetzt, vernahm sie Schritte auf der engen Holztreppe. Sie drehte sich um und sah zu ihrer Überraschung, dass Jack heraufgekommen war.
    Auch als sich ihre Blicke trafen, lächelte er nicht.
    »Ich dachte, du wärst schon weg.« Sie legte den Holzstab, den sie mit Watte hatte umwickeln wollen, wieder weg.
    »Ich arbeite heute von zuhause aus.« Die Hände in seine Jeanstaschen gesteckt trat er vor eins der Fenster und blickte hinaus. Der dicke Strickpullover, den er trug, brachte sein dunkles Haar besonders vorteilhaft zur Geltung, und sein Gesicht wurde vom winterlichen Sonnenlicht erhellt, als er in den

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