Kuss mich kuss mich nicht
Himmel sah.
»Wegen letzter Nacht«, setzte sie an. »Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Ich war wütend und frustriert und …«
»Ehrlich?«, fragte er und sah sie über seine Schulter hinweg durchdringend an.
»Jack …«
»Ich möchte etwas klarstellen.«
»Okay.« Sie legte ihre Hände auf die Knie und beugte sich ein wenig vor, weil die Anspannung der Muskeln zwischen ihren Schultern unerträglich war.
»Ich habe dir gesagt, dass ich mehr von dieser Beziehung möchte als Sex und ein bisschen Zuneigung. Ich bin von Natur aus gierig und gebe mich niemals mit dem Zweitbesten zufrieden. Das habe ich noch nie getan. Ich will dich ganz, Callie. Nicht nur die hübschen Seiten, die du hast.« Er wandte sich ihr wieder zu. »Ich möchte über deine Vergangenheit Bescheid wissen, weil sie ein Teil von dir ist. Nicht, weil ich in Sorge bin, dass sie mir vielleicht irgendwann Probleme macht.«
»Das glaube ich dir.«
»Also sprich mit mir.«
Sie schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht.«
»Du sagst, dass du mich liebst, aber wie kann das sein, wenn du mir nicht genug vertraust, um mir alles von dir zu erzählen? Hast du Angst, dass sich dann meine Meinung von dir ändert? Das wird sie niemals. Es gibt nichts, was du mir erzählen könntest, weshalb ich mich von dir abwenden würde.«
Sie blickte auf ihre Hände und fragte sich, ob sie sich vielleicht tatsächlich davor fürchtete, dass er sie dann verließ. Dachte sie allen Ernstes, dass er mit ihr brechen würde, nur weil ihre Eltern nicht verheiratet gewesen waren? Nein, natürlich nicht.
Jacks Stimme wurde rau. »Aber ich will dir etwas sagen. Dein anhaltendes Schweigen könnte mich vertreiben.«
Sie sah ihm ins Gesicht, als fände sie dort den Mut, den sie in sich selber finden musste, und atmete tief ein.
Dies war Jack, sagte sie sich. Dies war Jack. Dies war Jack. Dies war …
Mit dem Gefühl, als ob sie sich in ein schwarzes Loch stürzte, stieß sie mit sich überschlagender Stimme aus: »Ich bin ein uneheliches Kind.«
Sofort bekam er einen anderen Blick. Er drückte Erleichterung und gleichzeitig Trauer aus.
»Mein Vater war mit einer anderen Frau verheiratet. Er hatte eine Familie, ein komplettes Leben neben uns, weshalb meine Mutter und ich für ihn immer nur an zweiter Stelle gekommen sind. Er hat mich nie offiziell als seine Tochter anerkannt, und dort, wo sein Name stehen müsste, ist in meiner Geburtsurkunde nur ein Strich.«
Jack kam zu ihr zurück und legte seine starken Hände sanft auf ihren Schultern ab. »Das tut mir leid.«
»Ich – ich wuchs in dem Wissen auf, dass wir immer nur die zweite Wahl waren. Dass er meine Mutter nur genug geliebt hat, um sie niemals frei zu geben.« Sie schmiegte sich an ihn, lehnte ihren Kopf an seine Hüfte, und er machte ein Geräusch, das sie ermuntern sollte, ihm auch noch die letzten Einzelheiten zu erzählen, und das gleichzeitig sein Mitgefühl mit ihr verriet. »Während seiner Beerdigung stand ich in einem kleinen Birkenwäldchen fünfzig Meter von der Grabstätte entfernt. Ich wusste überhaupt nur, wo sie stattfand, weil ich meiner Halbschwester heimlich hinterhergefahren war.«
Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
»Ich … es fällt mir schwer, darüber zu reden, weil ich bisher noch keinem Menschen davon erzählt habe. Ich wurde dazu erzogen, immer den Mund zu halten. Weil er nur so ein Teil von unserem Leben blieb.« Sie bemühte sich zu lächeln, doch es gelang ihr nicht. »Alte Gewohnheiten lassen sich eben schwer ablegen.«
»Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast.«
Sie schlang ihm die Arme um die Taille und murmelte: »Ich auch.«
Er ließ seine Hand auf ihrem Rücken kreisen, und sie hob den Kopf, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Ich weiß nicht, was ich dachte, was passieren würde, wenn ich es jemandem erzähle. Wenn ich es dir erzähle. Aber wider Erwarten ist weder mein Schädel explodiert noch sonst etwas Dramatisches geschehen.« Sie versuchte zu lachen, stieß allerdings eher ein halbes Schluchzen aus. »Meine Kindheit war nicht gerade leicht. Wenn andere Mädchen über ihre Väter sprachen, schwang immer ein solcher … Besitzerstolz dabei mit. Mein Vater hat dies getan, mein Vater hat das getan. Ich hatte einen Vater, meiner war er nicht. Nachdem ich jahrelang gehofft hatte, dass er doch noch einmal das würde, als was ich ihn gern gehabt hätte, musste ich irgendwann erkennen, dass ein besitzanzeigendes Fürwort einfach nicht zu unserer Beziehung
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