Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.
oder, besser gesagt, ich war ein Einsiedler und Anachoret, denn ich lebte siebenundsechzig Jahre in einer Höhle, wo ich meine ganze Zeit ausschließlich in frommer Meditation verbrachte. Eines Morgens jedoch kam mir in den Sinn, ob ich eigentlich recht daran tue, mein Leben in Einsamkeit zu verbringen. Vermochten denn all meine tiefschürfenden Überlegungen und Mühen des Geistes auch nur einen Niet oder Bolzen daran zu hindern, aus seiner Verankerung zu fallen? Und steht denn nicht geschrieben, daß es unsere erste Pflicht sei, unserem Nächsten zu helfen und erst an zweiter Stelle an das eigene Seelenheil zu denken? Und heißt es nicht auch …«
»Schon gut, schon gut«, unterbrach ihn Trurl. »Wie es an jenem Morgen um deinen Gemütszustand bestellt war, steht mir mehr oder weniger klar vor Augen. Doch sag bitte, was geschah weiter?«
»So machte ich mich denn auf in die Stadt Phutura, wo ich zufällig einen berühmten Konstrukteur, einen gewissen Klapauzius, kennenlernte.«
»Wen? Ja ist denn das die Möglichkeit?!« schrie Trurl.
»Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
»Nein, nein! Sprich nur weiter!«
»Das heißt, eigentlich habe ich ihn nicht gleich kennengelernt; er war ein vornehmer Herr und saß in einer vollautomatischen Prachtkarosse, mit der er sich unterhalten konnte – ganz so wie wir beide jetzt. Die Karosse belegte mich mit einem derart unziemlichen Epitheton, als ich gänzlich unvertraut mit dem städtischen Straßenverkehr mitten auf der Fahrbahn stehenblieb, daß ich ihr mit meinem Wanderstab unwillkürlich einen Scheinwerfer zertrümmerte. Nun geriet sie erst recht in Wut, aber ihr Besitzer brachte sie zur Raison und bat mich, neben ihm Platz zu nehmen. Ich erzählte ihm, wer ich bin, weshalb ich die Einsamkeit aufgegeben hatte und auch, daß ich nicht wußte, was ich als nächstes tun sollte; er aber pries mich für meine Entscheidung in den höchsten Tönen, stellte sich seinerseits vor und sprach dann lange und in aller Ausführlichkeit von seiner Arbeit und seinen Werken. Zum Schluß erzählte er mir die erschütternde Geschichte des berühmten Weisen, Gelehrten und Philosophasters, Chlorian Theoreticus Klapostel, bei dessen traurigem Ende er selbst zugegen war. Von allem, was er über die ›Gesammelten Werke‹ dieses Größten aller Roboter berichtete, faszinierte mich das Kapitel über die MASTEN am meisten. Hast du, barmherziger Retter, zufällig etwas von diesen Wesen gehört?«
»Aber ja, sie sind die einzigen Wesen im ganzen Kosmos, die bereits die MAximale STufe der ENtwicklung erreicht haben, nicht wahr?«
»Genau die meine ich, du bist in der Tat überaus gut informiert, mein edler Gönner! Als ich neben dem berühmten Klapauzius in der Karosse saß (welche die Menschenmenge, die uns nur unwillig Platz machte, unablässig mit den schrecklichsten Schimpfwörtern traktierte), kam mir plötzlich der Gedanke in den Sinn, daß diese Wesen, die so hoch entwickelt waren, wie es höher nicht mehr ging, eigentlich am besten wissen müßten, was jemand zu tun hätte, der so wie ich ganz von dem heißen Wunsch durchdrungen war, Gutes zu tun und seinen Mitrobotern zu helfen. Ich wandte mich daher sogleich an Klapauzius mit der Frage, wo die Heimat der MASTEN sei und wo ich sie finden könne. Er aber schaute mich nur mit einem seltsamen Lächeln an, schüttelte gedankenverloren den Kopf und würdigte mich keiner Antwort. Ich wagte nicht zu insistieren; später jedoch, als wir in einem Gasthof abgestiegen waren (die Karosse war inzwischen so heiser geworden, daß sie ihre Stimme gänzlich verloren hatte und Herr Klapauzius gezwungen war, die Fortsetzung der Reise auf den folgenden Morgen zu verschieben), bei einem schäumenden Krug Ionenbier zusammensaßen – was die Stimmung meines Gesprächspartners beträchtlich hob – und die Paare beobachteten, die zu den heißen Rhythmen der Hochfrequenzband einen Kyberboogie aufs Parkett legten, zog er mich ins Vertrauen und fuhr mit seiner Erzählung fort. Aber vielleicht langweilt dich meine Geschichte bereits, und ich …«
»Nein, nein!« protestierte Trurl. »Im Gegenteil, ich bin ganz Ohr.«
»Mein lieber Bonhomius«, sprach Klapauzius zu mir, während sich die Tänzer allmählich in eine positive Hitze steigerten, »du mußt wissen, daß ich mir die Geschichte des unglücklichen Klapostel sehr zu Herzen genommen und eigentlich den Entschluß gefaßt hatte, mich unverzüglich auf den Weg zu machen, um diese perfekt entwickelten Wesen
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