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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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Rückenkratzer seine Kehrseite, er tat das offensichtlich mit dem größten Vergnügen, obwohl er ohne Kopf dastand. Letzterer lag ein paar Schritte weiter, mit dem Hals in den Sand gesteckt; im weit aufgerissenen Mund war die Zungenspitze sichtbar, die sich von Zahn zu Zahn tastete, wie um sie zu zählen. Die kupferne Stirn war mit weißer Bordüre besetzt, am linken Ohrläppchen schaukelte ein goldenes Ringlein, am rechten ein kleiner Holzgriff mit einem Schildchen in Druckbuchstaben: ZIEHEN! Ohne lange nachzudenken zog ich, und aus dem Ohr des nackten Geschöpfs kam eine mit Zuckerguß überzogene Schnur hervor, an deren Ende eine Visitenkarte mit dem Aufdruck hing: NUN ZIEH SCHON WEITER! Ich zog also weiter, bis auch diese Schnur zu Ende war. Zum Vorschein kam ein winziger Papierschnipsel mit der Aufschrift: WIR SIND SCHRECKLICH NEUGIERIG, NICHT WAHR?
    Ich war derart benommen und verwirrt, daß ich kaum noch wußte, wo ich war. Schließlich nahm ich meine verbliebenen Geisteskräfte zusammen und machte mich auf die Suche nach einem Bewohner dieses Planeten, der vielleicht kommunikativ genug wäre, mir wenigstens eine einzige Frage zu beantworten. Letztlich schien ich solch ein Individuum in Gestalt eines Dickbauchs gefunden zu haben, der mir den Rücken zuwandte und intensiv mit einer Sache beschäftigt war, die er zwischen den Knien hielt. Er flößte mir Vertrauen ein, denn er hatte nur einen Kopf, zwei Ohren und zwei Arme. Also fragte ich ihn höflich:
    – Entschuldigen Sie bitte, aber wenn ich mich nicht irre, dann genießen die Herren dieses Planeten den Vorzug, die maximale Stufe der Entwicklung erreicht zu ha … – Die Worte erstarben mir auf den Lippen. Mein Gegenüber war weder zusammengezuckt, noch schien er ein einziges meiner Worte gehört zu haben, so sehr war er mit seinem eigenen Gesicht beschäftigt, das sich auf unerfindliche Weise vom Rest des Kopfes gelöst hatte, auf seinen Knien lag und leise seufzte, als er ihm hingebungsvoll in der Nase bohrte. Für einen Augenblick verlor ich die Fassung, aber nur für einen Augenblick, dann gewannen Neugier und Wissensdurst die Oberhand, ich wollte endlich dahinterkommen, was auf diesem Planeten eigentlich vor sich ging. Also rannte ich von einem Eingeborenen zum anderen, sprach lautstark auf sie ein, ja schrie ihnen förmlich in die Ohren, drohte und flehte, redete ihnen gut zu und versuchte mit allen Mitteln, sie zur Kommunikation zu bewegen. Das Resultat war gleich Null. In meinem Zorn packte ich den Nasenbohrer am Arm, zuckte aber sogleich vor Entsetzen zurück, denn der Arm hatte sich aus dem Gelenk gelöst und hing jetzt schlaff in meiner Hand. Den Nasenbohrer schien das nicht im geringsten zu stören, er wühlte träge im Sand herum und zog einen anderen Arm hervor, der von den hellrot gefärbten Fingernägeln abgesehen aussah wie der alte, pustete ein, zwei Mal dagegen und befestigte ihn an seiner Schulter, wo er sogleich wieder anwuchs. Neugierig beugte ich mich über den Arm, den ich gerade herausgerissen hatte, der aber federte zurück und versetzte mir einen kräftigen Nasenstüber. Mittlerweile ging die Sonne unter, so daß am Horizont nur noch zwei ihrer Ecken sichtbar waren; es wurde kühler, die Bewohner des Planeten kratzten sich langsamer, gähnten und gingen offensichtlich daran, sich auf die Nacht einzurichten: Dieser schüttelte sein brillantenbesetztes Federbett aus, jener nahm Nase, Ohren und Beine ab und legte sie fein säuberlich in einer Reihe neben sich. Es wurde bereits dunkel, ich stolperte noch ein wenig in der Gegend herum, gab aber schließlich auf und machte mich mit einem tiefen Seufzer daran, mein Nachtlager zu bereiten. Ich grub mir eine Strandburg, machte es mir so bequem wie möglich, schaute in den nachtblauen, sternenübersäten Himmel und dachte darüber nach, was als nächstes zu tun sei.
    – Fürwahr, sagte ich mir. Allen Anzeichen nach habe ich tatsächlich den Planeten entdeckt, dessen Existenz bereits Kadavrius Malignus und Chlorian Theoreticus Klapostel vorhersagten, die Heimat der Höchsten Zivilisation des Universums, bestehend aus einigen hundert Individuen – weder Menschen noch Roboter – die den ganzen Tag auf diamantenbesetzten Kissen und Decken in einer schmutzigen, abfallübersäten Wüste herumliegen und nichts anderes tun, als sich zu kratzen und in der Nase zu bohren. Nein, all dem muß ein schreckliches Geheimnis zugrundeliegen, und – bei Gauß! – ich werde keine Ruhe geben, bis ich es

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