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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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Ohnmacht, andere stöhnten leise vor Vergnügen, die Unerfahrensten aber bliesen voller Behagen Blasen durch die Nasen. Die Verwandten der Jungvermählten versuchten zunächst, die Bande frecher Eindringlinge zu vertreiben, bald aber wurden sie selbst von der überschwappenden Flut sinnlicher Begierde erfaßt und schlossen sich dem unflätigen Chor an, indem sie das Brautpaar heftig anfeuerten; die treibende Kraft bei diesem traurigen Spektakel war der Urgroßvater des Bräutigams, der immer wieder versuchte, die Tür zum Schlafzimmer mit seinem Rollstuhl einzurammen. Empört und entsetzt über diesen Anblick machte ich auf dem Absatz kehrt und eilte zum Hotel zurück; unterwegs traf ich auf einige teils in heftige Kämpfe, teils in unzüchtige Umarmungen verwickelte Gruppen von Individuen; all das war jedoch nichts im Vergleich zu den Szenen, die sich im Hotel abspielten. Schon von weitem sah ich, wie die Gäste im Nachthemd aus den Fenstern sprangen, wobei sie sich nicht selten die Beine brachen, einige kletterten sogar aufs Dach, während der Besitzer, seine Frau, die Zimmermädchen und Gepäckträger drinnen hektisch hin und her rannten, von Todesangst gepackt aufschrien und sich in Schränken oder unter den Betten versteckten – all das nur, weil eine Katze im Keller gerade ein Mäuslein jagte.
    Erst jetzt fing ich an zu begreifen, daß ich in meinem Eifer wohl etwas voreilig gehandelt hatte. Bei Tagesanbruch war der Altruizin-Effekt bereits so stark, daß ein Jucken in der Nase eines Individuums genügte, um in der gesamten Nachbarschaft im Umkreis einer Meile donnernde Salven kollektiven Niesens auszulösen; vor Personen, die unter schweren Neuralgien litten, flohen Verwandte, Krankenschwestern und Ärzte in panischem Entsetzen; nur ein paar blasse, vor Wonne schwer atmende Masochisten hefteten sich hin und wieder an ihre Fersen. Es gab auch viele Ungläubige und Zweifler, die ihre Nächsten nur deshalb traten und schlugen, um sich zu überzeugen, ob es denn seine Richtigkeit habe mit dieser Transmission der Gefühle, von der jedermann sprach; die Malträtierten blieben ihrerseits die Antwort nicht schuldig, und bald hallte die ganze Stadt von dumpfen Schlägen und Tritten wider. Als ich um die Frühstückszeit einigermaßen ratlos und verwirrt durch die Straßen wanderte, traf ich beim Marktplatz auf eine unübersehbare, in Tränen aufgelöste Menschenmenge, die eine alte schwarzverschleierte Frau vor sich hertrieb und mit Steinen nach ihr warf. Wie sich herausstellte, war sie die Witwe eines hochbetagten Schusters, der am Tag zuvor gestorben war und an diesem Morgen beerdigt werden sollte; die abgrundtiefe Trauer der Schustersfrau war den Nachbarn und den Nachbarn der Nachbarn derart auf die Nerven gegangen, daß sie die Arme – nachdem sie nicht imstande waren, ihr auf irgendeine Weise Trost zu spenden – kurzerhand aus der Stadt vertrieben. Dieser traurige Anblick preßte mir das Herz zusammen, und ich kehrte so rasch als möglich zum Hotel zurück, aber auch das stand schon in hellen Flammen. Die Köchin hatte sich nämlich in der heißen Suppe den Finger verbrannt, woraufhin ihr plötzlicher Schmerz einen Rittmeister, der in der obersten Etage gerade sein Gewehr reinigte, dazu veranlaßte, unwillkürlich auf den Abzug zu drücken und mit einer einzigen Salve seine Frau nebst vier Kindern zu töten. Seine Verzweiflung übertrug sich auf alle, die noch nicht wegen einer Ohnmacht oder eines Beinbruchs im Krankenhaus gelandet waren; ein besonders wohlmeinendes Individuum aber, das dem unerträglichen kollektiven Leiden ein Ende setzen wollte, übergoß in einem offensichtlichen Anflug von Wahnsinn alle Gäste, derer es habhaft werden konnte, mit Petroleum und setzte sie in Brand. Ich floh wie ein Besessener vor der Feuersbrunst und begab mich auf die verzweifelte Suche nach wenigstens einem einzigen Menschen, von dem man mit Fug hätte sagen können, er sei zumindest einigermaßen, zumindest halbwegs glücklich gemacht worden; ich traf jedoch nur auf ein paar Nachzügler der Menschenmenge, die von der Hochzeitsnacht zurückkehrte.
    Man sparte nicht mit Kommentaren zu diesem Ereignis, wobei deutlich wurde, daß die Leistung der Jungvermählten weit hinter den Erwartungen dieser Schufte zurückgeblieben war. Jeder der ehemaligen Mitbräutigame hielt einen kräftigen Knüppel in der Hand, um Leidende zu vertreiben, die es wagen sollten, seinen Weg zu kreuzen. Ich glaubte, das Herz müßte mir vor Kummer und

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