Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.
Scham zerspringen, aber immer noch suchte ich nach einem Menschen – und sei es auch nur einem einzigen –, der meine Gewissensbisse lindern könnte. Nachdem ich eine Reihe von Passanten befragt hatte, erhielt ich schließlich die Adresse eines berühmten Philosophen, eines glühenden Verfechters der Brüderlichkeit und aufgeklärten Toleranz, und ich lenkte meine Schritte zum angegebenen Ort in der sicheren Erwartung, seine Behausung von einer wogenden Menschenmenge umgeben zu finden. Aber weit gefehlt! Nur ein paar Katzen lagen schnurrend am Eingangstor und badeten in der Aura des guten Willens, die der weise Mann so reichlich verströmte – in gebührendem Abstand jedoch saßen einige gierig seibernde Hunde, die offensichtlich auf ihre Chance lauerten. Ein Krüppel rannte so schnell er konnte an mir vorbei und schrie: ›Die Kaninchenfarm wird heute eröffnet! Alle dürfen rein!‹ Ich zog es vor, keinerlei Vermutungen darüber anzustellen, inwiefern die in einer Kaninchenfarm vor sich gehenden Phänomene segensreiche Auswirkungen auf sein Gefühlsleben haben könnten.
Als ich so dastand, näherten sich mir zwei Männer. Der eine schaute mir tief in die Augen, während er ausholte und dem anderen einen krachenden Faustschlag auf die Nase versetzte. Ich starrte sie erstaunt an, ohne mir jedoch an die eigene Nase zu greifen oder vor Schmerz aufzustöhnen, da ich als Roboter den Schlag ja nicht spüren konnte; das aber war Beweis genug für meine Missetaten, denn die beiden waren von der Geheimpolizei und hatten die List nur zu dem Zweck angewandt, um mich zu entlarven. Sie legten mir Handschellen an und brachten mich ins Gefängnis, wo ich meine ganze Schuld eingestand, nicht zuletzt im Vertrauen darauf, daß man meine guten Intentionen strafmildernd berücksichtigen würde, wenngleich inzwischen die halbe Stadt in Flammen stand. Wenn sie mich anfangs nur leicht mit Zangen zwickten, so nur um sich zu überzeugen, daß ihnen dadurch selbst keinerlei Leiden verursacht würden; nachdem sie aber festgestellt hatten, daß sie nichts, aber auch gar nichts spürten, da fielen sie gleich scharenweise über mich her, trampelten auf mir herum, rissen mir Schrauben mitsamt dem Gewinde heraus und zertrümmerten brutal Metallplatte für Metallplatte meines geschundenen Gehäuses. Ich will gar nicht sämtliche Qualen und Folterungen aufzählen, die ich für meinen aufrichtigen Wunsch erdulden mußte, sie alle glücklich zu machen; es genügt, daß man meine schäbigen Überreste schließlich in ein Kanonenrohr stopfte und weit in den Kosmos hinausschoß, der so dunkel und friedlich wie immer war. Im Flug schaute ich zurück und sah mit brechendem Blick, wie sich die Wirkung von Altruizin in zusehends größerem Maßstab entfaltete, denn die Wellen der Ströme, Flüsse und Bäche trugen das Präparat weiter und weiter. Ich sah, was mit den Vöglein des Waldes geschah, mit den Mönchen, Ziegen, Rittern, den Bauern und Bäuerinnen, den Hähnen, Jungfrauen und Matronen, und bei diesem Anblick platzten mir vor Gram und Herzeleid die letzten unbeschädigten Röhren – und in eben diesem Zustand landete ich nach langem Gleitflug nicht fern von deiner Behausung, mein edler Retter – ein für alle Mal geheilt von dem Wunsch, andere mit revolutionären Mitteln glücklich zu machen …«
Experimenta Felicitologica
Eines Abends in der Dämmerstunde tauchte der berühmte Konstrukteur Trurl, schweigsam und in Gedanken versunken, bei seinem Freund Klapauzius auf. Um ihn etwas aufzumuntern, wollte Klapauzius ein paar der neuesten kybernetischen Witze erzählen, Trurl winkte jedoch gleich ab und sagte:
»Gib dir keine Mühe, mich aus meiner trübseligen Stimmung zu reißen, denn in meiner Seele hat sich ein Gedanke eingenistet, der leider ebenso wahr wie deprimierend ist. Ich bin nämlich zu dem Schluß gekommen, daß wir in unserem ganzen arbeitsreichen Leben nichts wirklich Wertvolles geleistet haben.«
Während er das sagte, glitt sein mißbilligender Blick voller Verachtung über die stolze Sammlung von Orden, Auszeichnungen und Ehrendiplomen in Goldrahmen, mit der Klapauzius die Wände seines Arbeitszimmers dekoriert hatte.
»Auf welcher Basis fällst du ein derart strenges Urteil?« fragte Klapauzius, dessen fröhliche Stimmung wie weggeblasen war.
»Das will ich dir sogleich erklären. Wir haben Frieden gestiftet zwischen verfeindeten Königreichen, haben Monarchen im richtigen Gebrauch der Macht
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