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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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folgt daraus? Man muß ganz anders an die Sache herangehen, das Konzept muß bis ins letzte Atom geändert werden. Glück – ja natürlich, Daseinsfreude – selbstverständlich, aber nicht auf Kosten anderer! Nicht vom Bösen darf sie herrühren! Doch halt, was ist eigentlich das Böse? Ach, erst jetzt erkenne ich, wie schändlich ich bei meiner bisherigen Tätigkeit als Konstrukteur die Theorie vernachlässigt habe.«
    Acht schlaflose Tage und Nächte hindurch widmete Trurl sich ausschließlich dem Studium höchst wissenschaftlicher Werke, welche allesamt die gewichtigen Fragen von Gut und Böse zum Gegenstand hatten. Wie sich herausstellte, überwog unter den Weisen die Meinung, das Wichtigste sei die aktive Sorge um den Mitmenschen sowie ein allumfassender guter Wille. Das eine wie das andere müßten vernunftbegabte Wesen in ihrem Verhältnis zueinander an den Tag legen, sonst sei alles verloren. Allerdings hat man unter eben dieser Losung die einen gepfählt, gevierteilt und aufs Rad geflochten, anderen die Glieder in die Länge gezerrt, den Schlund mit feurigem Blei ausgegossen und Knochen für Knochen auf der Folterbank gebrochen. Historisch hat sich der allumfassende gute Wille noch in zahllosen anderen Formen und Spielarten der Tortur manifestiert, denn er galt ja einzig und allein der Seele, nicht dem Körper.
    »Guter Wille allein genügt nicht«, sprach Trurl zu sich. »Wie wäre es, wenn man das Gewissen verpflanzte, vom eigentlichen Besitzer auf den Mitmenschen und umgekehrt? Was käme wohl dabei heraus? Aber das wäre ja furchtbar, denn meine bösen Taten würden nur noch das Gewissen meines Nachbarn belasten, ich aber könnte mich noch bedenkenloser der Sünde hingeben als bisher! Also sollte man vielleicht die Empfindlichkeit eines durchschnittlichen Gewissens durch den Einbau eines Leistungsverstärkers fühlbar erhöhen, damit böse Taten bei ihren Urhebern tausendfach schlimmere Gewissensbisse hervorrufen. Aber dann würde jedermann schon aus bloßer Neugier ein Verbrechen begehen, nur um sich davon zu überzeugen, ob sein neues Gewissen wirklich so höllische Schmerzen verursacht – und würde dann bis ans Ende seiner Tage von Schuldgefühlen geplagt, unter denen er letztlich zusammenbrechen müßte. Dann vielleicht ein Gewissen mit Rücklauf und Löschtaste, natürlich plombiert? Nur die Obrigkeit hätte einen Schlüssel … Nein! Auch das taugt nichts, denn wozu gibt es schließlich Dietriche? Und wenn man nun eine telepathische Gefühlsübertragung arrangieren würde – einer fühlt für alle, alle für einen? Aber das war ja schon da, auf diese Weise wirkte ja Altruizin … Vielleicht so: Jeder hat einen kleinen Sprengsatz mit Funkempfänger im Bauch, und wenn es mehr als ein Dutzend seiner Nächsten gibt, die ihm seiner bösen und niedrigen Taten wegen übel wollen, so akkumuliert sich die Summe dieser Intentionen am Eingangsteil des Empfängers mit dem Effekt, daß der Adressat der bösen Wünsche in die Luft fliegt. Würde dann nicht jedermann das Böse noch mehr als die Pest fürchten? Zweifellos, es bliebe ihm ja keine Wahl! Allerdings … ist das noch ein glückliches Leben, mit einer Bombe im Bauch? Außerdem, es könnte Verschwörungen geben, es würde genügen, wenn sich ein Dutzend Schurken gegen einen ehrlichen Mann zusammentun, und schon zerreißt es ihn in tausend Stücke … Was dann, die Eingangsklemmen einfach umpolen? Ist auch sinnlos. Aber es müßte doch mit dem Teufel zugehen, sollte ich, der ich ganze Galaxien verrückt habe, als wären es Schränke, nicht in der Lage sein, ein derart simples Konstruktionsproblem zu lösen! Stellen wir uns einmal vor, jedes Mitglied einer bestimmten Gesellschaft ist rosig, wohlgenährt, immer guter Dinge, singt, hüpft und lacht von früh bis spät, überschlägt sich fast vor Eifer, wenn es darum geht, anderen zu helfen, und alle anderen verhalten sich genauso, und wenn sie gefragt werden, dann rufen alle lauthals, daß sie sich vor Freude über die eigene wie die kollektive Existenz nicht zu lassen wissen … Würde eine solche Gesellschaft nicht vollkommen glücklich sein? Das Böse hätte dort keinen Platz, wäre völlig undenkbar! Und weshalb? Weil es niemand will. Und warum will es niemand? Weil niemand das geringste davon hätte. Das ist die Lösung! Ein glänzender Plan zur Massenproduktion des Glücks, dabei ganz einfach, wie alle genialen Ideen! Ich bin schon sehr gespannt, was Klapauzius sagen wird, dieser zynische

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