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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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zu den raffiniertesten gehören mußte, die jemals angewandt wurden. Der Marschall sprach davon zu einem Höfling, der den Ratgeber schon seit langem um die Gunst des Königs beneidete. Dieser Höfling, dem an nichts mehr gelegen war, als im Herzen des Königs Zweifel zu säen, erzählte Mandrillion, sein erklärter Favorit habe sich eingeschlossen und verbringe ganze Nächte damit, den verdächtigen Brief zu studieren. Der König lachte und sagte, darüber sei er bestens informiert, denn der Ratgeber habe ihm selbst davon Mitteilung gemacht. Der neidische Höfling verstummte verwirrt und hinterbrachte die Nachricht sogleich dem Marschall.
    »Oh!« stöhnte der hochbetagte Kryptographologe, »er hat es sogar dem Monarchen erzählt? Das ist doch der Gipfel der Perfidie! Und was muß das für ein teuflischer Code sein, wenn er es wagt, so offen darüber zu sprechen!«
    Dann befahl er den Brigaden, ihre Anstrengungen zu verdoppeln. Als nach einer Woche noch immer keine Resultate vorlagen, wurde der berühmteste Experte auf dem Gebiet der Geheimschriften hinzugezogen – Professor Occulticus, Entdecker der unsichtbaren Zeichensprache. Nachdem der Gelehrte den inkriminierten Brief sowie sämtliche Berichte der Spezialisten studiert hatte, erklärte er, man müsse die trial-and-error-Methode anwenden, wozu allerdings Computer von astronomischem Format erforderlich seien.
    Nach Operationen von gigantischem Ausmaß stellte sich heraus, daß man den Brief auf dreihundertachtzehn verschiedene Arten lesen konnte.
    Die ersten fünf Varianten lauteten: »Der Kakerlak von Melkersdorf ist heil angekommen, aber der Bettpfanne ist eine Sicherung durchgebrannt.« – »Roll die Tante der Lokomotive zu Kalbsschnitzeln!« – »Die Verlobung der Butter wird nicht stattfinden, denn die Schlafmütze ist vernagelt.« – »Wer gehabt hat, ist gewesen, wer gelacht hat, wird gelesen.« – »Aus Erdbeeren unter der Folter kann man eine ganze Menge herausholen.« Professor Occulticus hielt die fünfte Variante für den Schlüssel des Codes; nach dreihunderttausend Rechenvorgängen kam er zu dem Ergebnis, man müsse lediglich sämtliche Buchstaben des Briefes addieren, von dieser Summe die Parallaxe der Sonne plus die jährliche Produktion von Regenschirmen subtrahieren, sodann die Kubikwurzel aus der Restsumme ziehen, und schon ergebe sich ein einziges Wort, nämlich »kruzafix«. Im Adreßbuch fand man einen Untertanen namens »Kruzafux«. Occulticus erkannte mit einem Blick, daß die Vertauschung eines einzigen Buchstabens nur zu dem Zweck erfolgt sein konnte, Spuren zu verwischen, und Kruzafux wurde verhaftet. Es genügte ein wenig Überzeugungsarbeit unter Anwendung des sechsten Grades, und der Verbrecher gestand, er sei tatsächlich im Komplott mit Trurl gewesen, der ihm einen vergifteten Nagel und einen Hammer schicken wolle, damit er dem Monarchen den Garaus machen könne. Nachdem der Code- und Feldmarschall die Beweise des Hochverrats schwarz auf weiß in Händen hielt, legte er sie unverzüglich dem König vor; Mandrillion aber besaß noch soviel Vertrauen zu seinem Ratgeber, daß er ihm die Möglichkeit gab, sich zu rechtfertigen.
    Der Ratgeber leugnete nicht, daß man den Brief durch Umstellung der Buchstaben in einer ganzen Reihe von Varianten lesen konnte. Wie er sagte, hatte er selbst weitere hunderttausend Varianten entdeckt, das allein beweise jedoch gar nichts, in Wirklichkeit sei der Brief überhaupt nicht verschlüsselt, denn schließlich könne man die Buchstaben eines jeden Textes so rekombinieren, daß sich ein neuer Sinn oder der Schatten eines Sinns ergäbe, das ganze bezeichne man dann als Anagramm. Derartige Probleme seien der Gegenstand der Permutations- und Kombinationstheorie. Trurl, sagte der Ratgeber, wolle ihn kompromittieren und diskreditieren, indem er die Fiktion eines Codes aufrechterhalte, obwohl in Wirklichkeit keiner existiere. Der arme Teufel Kruzafux sei völlig unschuldig; sein Geständnis sei ihm von den professionellen Überzeugern im Hauptquartier der Polizei in den Mund gelegt worden, die ja keine geringe Übung in der sanften Kunst der Überredung und darüber hinaus Verhörmaschinen mit einer Ausgangsleistung von einigen tausend Kiloschlag besäßen. Die Kritik an der Polizei nahm der König sehr übel, und als er dann weitere Erklärungen verlangte, begann der Ratgeber, in immer komplizierteren Wendungen von Anagrammen und Permutationen, Codes, Ziffern, Symbolen, Signalen und der allgemeinen

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