L wie Liquidator
wieder zu; das Taxi entfernte sich von der Bordsteinkante. »Hat ’ne volle Ladung Tränengas in die Futterluke abbekommen.«
Ratte hatte die Druckventile im Boden schon erblickt. Er spähte durch die Dunkelheit auf das Zulassungsschild. Jemand hatte einen Slogan darübergelasert – vermutlich mit einem dieser neuen Mitsubishi-Lichtschreiber. »Freiheit für die Toten.«
Ratte lächelte. Die Toten waren seine Kunden. Leute, die den Weg des Staubes beschritten hatten. Zwölf bis achtzehn Monate großartiger Delirien; künstliche Orgasmen, rekursive Wahnempfindungen, die zu einer totalen Oberbelastung des Sinnesapparates führten und eine ekstatische Todeserfahrung vermittelten. Eine Dosis reichte aus, um an den Anfang der Straße des Staubes zu führen. Die Staatlichen bemühten sich, den Nachschub abzuschneiden – mit gräßlichen Konsequenzen für die Toten. Ohne Staub gelang es ihnen, ein paar Monate länger zu leben; aber ihr glorioser Ritt die Straße des Staubes hinunter verwandelte sich in ein enervierendes Marathon peinigender Entzugssymptome und schließlichem Wahnsinn. Tot waren sie so oder so.
Ratte lehnte sich zurück. Das Lichtschreiber-Graffiti bedeutete ein gutes Omen. Er griff in die Hosentasche, zog einen Lederstreifen hervor, der in eine selbsterfundene Mischung fettlöslicher Amphetamine getränkt war, und begann, daran zu nuckeln.
Ab und zu hörte er die Taxifahrerin das Netz des New York Police Department nach Feuerbarrikaden und Schwindelgebühren abfragen, die von Straßengangs erhoben wurden. Sie mußten einen Umweg über die schwerbewachte Park Avenue machen; den ganzen Weg durch die Wohnviertel an der 59., bevor sie zum Bunker umkehren konnten.
Ursprünglich erbaut, um UN-Diplomaten vor Terroristen zu schützen, war der Bunker nach Auflösung der Vereinten Nationen in Allgemeinbesitz übergegangen. Der Theorie nach war er »die sicherste Adresse in der Stadt«. Ratte wußte es besser; das war der Grund dafür, daß er eine intelligente Tür des letzten technischen Sicherheitsstandards eingebaut hatte. Dem Leumund nach waren die meisten Mitglieder der Besitzergenossenschaft des Bunkers Kandidaten entweder für eine Gehirnwäsche oder einen ausgedehnten Urlaub auf einer staatlichen Rehabilitationsfarm.
»He, Fuhre«, sagte die Taxifahrerin. »Das Netz behauptet, die Toten hielten sich direkt vor Ihrer Haustür auf. Soll ich durchbrechen oder weiterfahren?«
Die Rückenhaare Rattes stellten sich auf. »Cops?« fragte er.
»Im Augenblick lassen sie ihnen ihren Spaß.«
»Sind Sie für einen Durchbruch ausgerüstet?«
»Scheiße, ja. Ich parke diese Droschke sogar auf Ebene Null, um die richtige Fuhre zu erwischen.« Das Lachen der Taxifahrerin klang monoton. »Machen Sie sich keine Sorgen, Bunkermann. Geben Sie diesen toten Jungs einen Schuß gutes altes CS-Gas, und sie werden zu sehr damit beschäftigt sein, sich die Augen auszukratzen, um uns viel entgegensetzen zu können.«
Ratte bemühte sich, sein Fell zu glätten. Er konnte den Haufen durchbrechen oder auch steckenbleiben. Aber wenn er wartete, würden ihm entweder die Spionin oder der Staatliche über kurz oder lang auf den Schwanz treten. Ratte zweifelte nicht daran, daß es beiden gelungen war, ihm Ortungswanzen anzuheften.
»Natürlich ist es riskant, eine Rotte zu sprengen«, sagte die Taxifahrerin. »Ich muß die Taxe verdreifachen.«
Der Fahrpreis belief sich bereits auf über zweihundert Dollar – für eine Fahrt von fünfzehn Minuten.
»Fahren Sie in Bucht Zwei – durch die gelbe Tür.« Er zog sein Koffergerät an sich und begann mit den luminiszenten Tasten zu schreiben. »Ich gebe den Erkennungscode ein«, sagte er.
Er hörte, wie die Taxifahrerin die Cops informierte, daß sie durchkämen. Ratte spürte, wie sie beschleunigten, als sie den Kordon durchbrachen; die flüchtige Impression von kreisenden Lichtern, Cops in blauen Schutzanzügen und einem mit Wasserwerfern bestücktem Tank überkam ihn.
Unvermittelt bremste die Taxifahrerin, und Ratte schoß nach vorn, bis ihn der Schultergurt aufhielt. Die massiven Gummireifen des Taxis quietschten auf, und Ratte hörte den Laut eines Gegenstandes, der von der Motorhaube abprallte. Ihre Fahrt reduzierte sich zu einem Kriechen, und die Toten bildeten einen dichten Ring um sie.
Ratte konnte nicht erkennen, was vor ihnen vor sich ging, weil die Taxifahrerin durch eine stählerne Trennwand vor den Fahrgästen geschützt war. Und die Seitenfenster füllten
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