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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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schweiß-, tränen- und blutüberströmte Gesichter aus. Es waren verzerrte Gesichter; schreiende Gesichter; Gesichter, die von der Agonie des Entzugs gekennzeichnet waren.
    Durch Schalldämpfer drangen ihre Schreie nur schwach herein.
    Ratte empfand Furcht und Belustigung, als er die Gestalten vorbeidefilieren sah. Wenn sie wüßten, wie nahe sie dem Staub sind, dachte er. Die Vision überfiel ihn, wie sich die Toten in wahnsinniger Gier durch die Panzerung knabberten und nur innehielten, um herausgebrochene Zähne auszuspucken. Es war wundervoll. Diese Zusammenrottung war der Beweis, daß der Markt für den Staub noch brandheiß war. Die Toten mußten verzweifelt sein, um den Bunker in der Hoffnung auf einen Trip anzugreifen.
    Ratte beschloß, den Preis für den Staub nochmals um zehn Prozent anzuheben.
    Er hörte ein Poltern auf dem Dach; dann fing jemand an, über seinem Kopf herumzuspringen. Er kam sich vor wie im Innern einer Kesseltrommel. Er grub die Nägel in den Sitz und machte einen krummen Rücken.
    »Worauf warten Sie denn noch? Geben Sie ihnen eine Ladung Gas, verdammt!«
    »He Fuhre, das Zeug ist nicht gerade billig. Uns passiert schon nichts … wir sind fast am Ziel.«
    Eine Frau mit flammendroten, verfilzten Haaren preßte den Mund gegen das Fenster und schrie. Ratte richtete sich auf den Hinterbeinen auf und tat, als schnappe er nach ihr. Da erblickte er den Lichtschreiber in ihrer Hand. Im letzten Augenblick warf er sich zur Seite. Der Lichtschreiber blitzte auf, und sogleich erfüllte der stechende Geruch geschmolzenen Plastikmaterials das Passagierabteil. Eine Nadel aus Laserlicht versengte das Fell auf Rattes linker Flanke; er winselte auf und ließ sich auf den Boden fallen, wo er zuckend liegenblieb.
    Die Taxifahrerin aktivierte die externen Gasdüsen, und sofort glitten die Gesichter seitlich von den Fenstern weg.
    Sie beschleunigten; es gab jedesmal eine Erschütterung, wenn sie über gestürzte Tote hinwegfuhren. Es folgte der benommen machende Übergang aus der Finsternis der von Gewalt erfüllten Nacht in die von strahlender Helligkeit erfüllte Ruhe in Bucht Zwei. Ratte kletterte auf den Sitz zurück und blickte eben rechtzeitig aus dem Rückfenster, um zu sehen, wie sich die hydraulischen Flügeltore der äußeren Schleuse wieder schlossen.
    Etwas geriet zwischen sie … ein Etwas, das platzte und Unsägliches um sich verspritzte. Dann glitt das innere Tor auf seinen Schienen hinab, wie ein Vorhang vor dem blutigen letzten Akt.
    Ratte war beinahe zu Hause. Zwei Sicherheitsbeamte in Schutzanzügen tauchten auf. Die Verriegelung des Tores schnappte zu, und Ratte kletterte aus dem Taxi. Einer der Wachleute richtete einen schweren Revolver auf seinen Kopf, der andere hielt ihm wortlos ein Erkennungsgerät vor. Er drückte den Daumen auf den Scanner, und der Bunkercomputer bestätigte sogleich seine Identität.
    »Guten Abend, Sir«, sagte einer der Wachleute. »Es geht heute abend dort draußen ein wenig ungemütlich zu. Haben Sie Gepäck bei sich?«
    Die Frontluke des Taxis öffnete sich, und Ratte vernahm das tiefe Winseln von Elektromotoren, als ein mechanischer Arm den Rollstuhl der Taxifahrerin auf den Boden der Bucht hievte. Sie war eine grauhaarige Frau mit rheumatischen Augen, die aussah, als gehöre sie in ein Pflegeheim in New Jersey. Ein gestrickter Schal bedeckte ihre gelähmten Beine.
    »Sie sagten dreifach.« Der Liftarm des Taxis klickte und gab den Rollstuhl der Taxifahrerin frei; sie kam auf ihn zugerollt. »Das macht sechshundertneunundsechzig Dollar.«
    »Kein Gepäck, nein.« Jetzt, da er sich in Sicherheit in seinem Bunker befand, bedauerte Ratte seine durch die Angst verursachte Großzügigkeit. Ein Kredittransfer von einem seiner privaten Konten kam nicht in Betracht. Er steckte seinen letzten Tausend-Dollar-Chip in den Belegleser seines Koffergerätes, buchte dreihunderteinunddreißig Dollar davon auf eine Waschsalonkette auf den Bahamas und ließ den Chip in ihre ausgestreckte Hand fallen.
    Sie nahm ihn mit zweifelndem Gesichtsausdruck entgegen; Ratte erwartete schon, daß sie hineinbeißen würde, wie man es zuweilen in einem jener vorsintflutlichen TV-Filme sah. Alte Leute machten ihn nervös. Aber sie steckte den Chip in ihren eigenen Belegleser und sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
    »Wie wäre es mit einem Rat?«
    Ratte schnüffelte. »Nehmen Sie keine Fremden mit!«
    Einer der Wachleute lachte beifällig.
    Der andere zeigte auf etwas, aber Ratte sah die

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