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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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würde noch weitere zwanzig so aussehen, wenn sie nicht vorher eine Kugel einfing oder von einem automatischen Abwehr-Laser in zwei Hälften geschnitten wurde, der nur auf Wärme reagierte und unfähig war, Intelligenz wahrzunehmen … ganz abgesehen davon, daß sie ihn auch nicht beeindruckt hätte.
    Ihren Pässen zufolge waren sie Mr. Sterling Jaynes und seine Tochter Jessalynn aus Forest Hills, New York.
    Sie tippte in ihr Notizbuch; ihre rundlichen Finger bewegten sich ungeschickt über die Tasten. Hausaufgaben? Ein Brief an einen Boyfriend? Wahrscheinlicher war, daß sie versuchte, mit einem selbstgestrickten Skalpell-Code in eine private Datenbank einzubrechen.
    »Ne fais pas semblant d’etudier, ma petite«, sagte Ratte. »Que fais-tu?«
    »Oh, Daddy«, erwiderte sie schmollend, »können wir nicht wieder einfaches, gewohntes Englisch reden? Schließlich sind wir fast zu Hause.« Sie hielt ihr Notizbuch schräg, so daß er das Display lesen konnte. Darauf stand: »Zwei Reihen hinter uns, der zweite Sitz vom Mittelgang aus. Ein Staatlicher. Wenn er wüßte, was du bei dir trägst, würde er dir den Staub aus dem Leib schneiden, dir das Fell abziehen und sich damit den Arsch abwischen.« Sie berührte die Clear-Taste, und die Botschaft verschwand vom Bildschirm.
    »Also gut, meine Liebe.« Er krümmte den Rücken, als er gegen eine Adrenalinwoge ankämpfte, die seine Schneidezähne aufeinanderschlagen ließ. »Weißt du, ich verspüre plötzlich Hunger. Was meinst du – sollen wir schon hier im Zug etwas dagegen unternehmen – oder sollen wir lieber bis New York warten?« Nur die Spionin bekam seine Gesten in Richtung des Staatlichen mit.
    »Ich finde, wir sollten warten, bis wir angekommen sind. Dort haben wir mehr Möglichkeiten.«
    »Wie du möchtest, meine Liebe.« Er wünschte sich, sie würde den Staatlichen sofort aus dem Verkehr ziehen; aber er wagte nichts mehr zu sagen. Er leckte sich nervös über die Hände und glättete das Fell hinter seinen kurzen, dicken Ohren, damit die Zeit vorüberging.
    Die International Arrivals Hall am Koch Terminal war für einen Donnerstagabend ungewöhnlich still. Für Ratte roch es förmlich nach einer Falle. Die Passagiere der Projektilbahn schoben sich langsam durch die hallende steinerne Leere auf die Reihe der Zollstationen zu. Ratte war unbewaffnet; falls sie in einen Kampf verwickelt würden, läge es an der Spionin, die Feuerkraft beizusteuern. Aber Ratte war kein Kämpfer – er war ein Läufer. Ihre Instruktionen lauteten, die Station Nummer Vier zu passieren. Als sie in der Reihe warteten, machte Ratte den Regierungsspitzel hinter sich aus. Es handelte sich um den klassischen unsichtbaren Mann; weder hübsch noch häßlich. Siebzig Kilo, ungefähr einsfünfundsiebzig groß, braune Haare, dunkler Anzug, weißes Hemd. Er sah gelangweilt aus.
    »Haben Sie etwas zu verzollen?« Auch die Zollbeamtin sah gelangweilt aus. Alle sahen gelangweilt aus; außer Ratte, der illegale Drogen im Wert von zwei Millionen Neuen Dollars in seinen Därmen trug, und einem Staatlichen, der bereit war, sie ihm herauszuschneiden.
    »Wir halten dafür, daß diese Wahrheit offenkundig sei«, erwiderte Ratte, »daß alle Menschen gleich erschaffen sind.« Er nötigte sich ein schwächliches Grinsen ab, als hätte er einen Scherz gemacht, statt eine Losung zu nennen.
    »Daddy; bitte!« Die Spionin heuchelte Verlegenheit. »Es tut mir leid, Ma’am; das ist seine Art von Humor. Es ist aus der Unabhängigkeitserklärung, wissen Sie.«
    Die Zollbeamtin zauste der Spionin lächelnd die Haare. »Ich kenne den Text, meine Liebe. Bitte, legt euer Gepäck auf das Förderband!« Sie warf einen beiläufigen Blick zum Monitor hoch, als ihre Koffer den Detektor passierten, dann nickte sie Ratte zu. »Ich danke Ihnen, Sir, und wünsche Ihnen eine angenehme …« Der heuchlerische Spruch erstarb ihr auf den Lippen, als sie sah, wie sich der Staatliche durch die Reihe nach vorn stieß. Ratte sah, wie die Spionin ihren Notizbuch-Computer in den Detektor schleuderte und im selben Augenblick auf den Ausgang zuwirbelte.
    Der blaue Blitz einer Entladung züngelte aus dem Notizbuch auf die magnetischen Linsen zu; die Deckenlampen flammten unerträglich hell auf und wurden gleich darauf dunkel. Die Notstromversorgung versagte ebenfalls. Rattes Schnauze war plötzlich vom ätzenden Geruch der Elektrizität erfüllt. Rufe und Schreie erklangen in der Dunkelheit; dazu gesellte sich ein Krachen und Bersten …

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