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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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schließlich wurde das wahnsinnige Stampfen einer Stampede unüberhörbar.
    Ratte ließ sich auf alle viere fallen und schlitterte über den Boden. Koch Terminal war sein ureigenes Gebiet; er hatte seine zahlreichen Ebenen kreuz und quer mit Duftmarken gekennzeichnet. Selbst in völliger Finsternis hatte er keine Mühe, seinen Weg zu finden. Aber in seiner Hast stieß er mit dem Kopf gegen ein Paar bestrumpfte Knie, und gleich darauf fiel ein quiekendes Gewicht über ihn und preßte ihm die Luft aus der Lunge.
    Er spürte einen brennenden Stich in sein Hinterteil und kratzte mit dem Hinterlauf danach. Seine Zehen wurden naß, und er winselte auf. Ein fremdes Winseln antwortete ihm; eine Schuhspitze grub sich in seinen Körper und schleuderte ihn über den Boden. Er rollte sich nach links, kam auf alle viere und rannte weiter. Über eine stillgelegte Rolltreppe in eine mit Teppichboden belegte Halle hinunter. Er stellte sich aufrecht hin und reckte sich zu seiner vollen Länge von siebzig Zentimetern empor und kratzte mit den Händen umher, bis er den Panikriegel vor der feuersicheren Tür ausfindig gemacht hatte. Er warf sich dagegen – eine Sirene ertönte – die Tür öffnete sich mit einem heftigen Zischen und spie ihn auf eine Allee aus.
    Er blieb für einen Moment keuchend liegen, teils innerhalb, teils außerhalb des Koch Terminal. Mit dem sicheren Wissen, daß er dabei war, sich zu Tode zu bluten, berührte er die kühle Nässe auf seinem Rücken. An seinen Fingern haftete eine klebrige, purpurne Substanz; er roch erst daran, dann probierte er sie. Eiskrem. Ratte warf den Kopf zurück und lachte. Das helle Quieken seines Gelächters hallte über die verlassen daliegende Allee.

    Aber er hatte keine Zeit zu verlieren. Er hörte schon die Polizeihover am nächtlichen Himmel aufheulen. Der Stromausfall würde sie eine Weile beschäftigen; Ratte machte sich weit mehr Sorgen um den Staatlichen als um die Spionin. Sie würden nicht mehr lange brauchen, um herauszukommen und nach ihm Ausschau zu halten.
    Ratte eilte die Allee hinunter zur Straße. Er warf einen raschen Blick zum Terminal zurück, das jetzt als schwarzes Loch in jener unwirklichen Holographie einer strahlenden Milchstraße erschien, als die sich die 42. Straße präsentierte. Ein paar Cops bemühten sich, gegen den Strom panischer Reisender anzukämpfen, die aus den offenen Toren hervorqollen. Ratte glättete sein zerzaustes Fell, wandte sich von der Unglücksstätte ab und machte sich auf den Weg quer durch die Stadt. Sein Instinkt riet ihn, zu rennen, aber er zwang sich dazu, wie ein Provinzler auf dem Einkaufsbummel in der aufregenden Großstadt zu schlendern. Er grinste die Zuhälter an und drückte sich die Nase an den Schaufenstern der Eisenwarengeschäfte platt. Er hielt sich vor einem Paar spiegelbildlich angebrachter Sex-Stops auf – MÄDCHEN! LIVE! und LIVE! MÄDCHEN! –, um den durch Pheromone induzierten Schweiß zu schnuppern. Der Duft entströmte einem androgynen Robotgehilfen, der den Bürgersteig bearbeitete. Der Roboter schob Ratte zuvorkommend die Hand zwischen die Beine, aber er stieß ihn keuchend zur Seite und setzte seinen Weg fort.
    Als er endlich sicher war, nicht verfolgt zu werden, aktivierte er die Energieleistung seines Koffergerätes und zapfte das Transnetz an, um ein Hovertaxi zu ordern. Der Koffer informierte ihn, daß der Luftraum über dem Stadtkern abgeriegelt worden sei, um die Rettungsaktionen am Koch-Terminal zu erleichtern. Er wies ihn an, es mit der U-Bahn oder einem gewöhnlichen Taxi zu versuchen. Da er nicht die Absicht hatte, einen ID-Chip in ein U-Bahn-Drehkreuz zu stecken – wenn es auch nur ein gefälschter war –, trat er an die Bordsteinkante und beobachtete den Verkehr.
    Das wiederinstandgesetzte Taxi, das neben ihm ratternd zum Stehen kam, war aus orangefarbenem Acrylon und blitzblanken Panzerplatten zusammengeschustert.
    »Wir verlassen Manhattan nicht«, sagte der Lautsprecher über dem Dachfenster, »und wir fahren auch nicht nördlich der 110. Straße.«
    Ratte nickte, und der Türverschluß ging knallend auf. Das Fahrgastabteil roch nach Chlorbenzolmalononitrit und Urin.
    »Zum Bunker in der First Avenue«, sagte Ratte und zog die Nase kraus. »Jesus, stinkt das hier unten. Wer war Ihre letzte Fuhre … ein Zirkus?«
    »Ein Verstörter.« Der Lautsprecheranschluß funktionierte nicht einwandfrei, was der Stimme der Taxifahrerin einen kratzigen Unterton verlieh. Die Eingangstür schnappte

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