L wie Liquidator
Rattes Kopf Platz hatte, wie entsetzlich groß ein Mensch war. Um so vieles größer als eine Ratte.
Originaltitel: »Rat«
Copyright © 1986 by Mercury Press
(erstmals erschienen in »The Magazine of Fantasy and Science Fiction«, Juni 1986)
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Agentur Luserke, Friolzheim
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Malte Heim
Illustriert von John Stewart
Kim Stanley Robinson
Aus und erledigt im Jahr 2000
Es wurde wieder heiß. Sommer in Washington, D.C. – Leroy Robinson erwachte und wälzte sich auf seiner Matratze herum, wobei ihm der Schweiß ausbrach. Was für ein Tag! Er stand auf und kniete sich neben die zweite Matratze nieder, die es in diesem kleinen Zimmer gab. Als sein Körper sich vor das durch das offene Fenster einfallende Sonnenlicht schob, bewegte sich Debra. In ihren Mundwinkeln hatten sich weiße Krusten gebildet, und ihre Stirn fühlte sich immer noch heiß und trocken an; aber ihr Atem ging normal, und es sah so aus, als schliefe sie gut. Leroy schlüpfte vorsichtig in seine Jeans und ging den Flur hinunter zum Badezimmer. Geschlossen. Er wartete: Ramon kam naß und wackelig heraus. »Morgen, Robbie.« Hinein ins Badezimmer, wo er seine Hosen an den Haken hängte und sein morgendliches Ritual hinter sich brachte. Ein blutunterlaufenes Auge starrte ihn aus der Spiegelscherbe an, die einsam im Rahmen stak. Die Toilette war dreckig; der Duschvorhang war über und über mit schwarzen Algen bedeckt, als litte er an einer lebensgefährlichen Krankheit. Was für ein Morgen!
Nachdem er geduscht hatte, trocknete er sich mit den Jeans ab und schwitzte schon wieder. Dann ging er zurück ins Zimmer. Debra schlief noch immer. Er beobachtete sie eine Weile besorgt, dann füllte er seine Taschen und ging auf den Flur, wo er sich Turnschuhe und tank-top [7] anzog. An Tagen wie diesem hatte Debra einen leichten Schlaf, und jedes ungewohnte Geräusch konnte sie wecken. Er lief die vier Treppen bis zur Haustür hinunter; und trat total verschwitzt ins dampfende Freie.
Er ging die tote Straße mit ihrer seltsamen Mixtur von Condo-Festungen und verlassenen Häusern hinunter bis zur Mall. Dort ragten große, khakifarbene Panzer über die breite Fläche aus Schmutz, Abfall, Zelten und dem bißchen Gras, das übriggeblieben war. Die meisten Demonstranten schliefen zwar noch in einem der Zeltdörfer, aber um das Washington-Denkmal herum gab es bereits ein geschäftiges Gedränge. Leroy machte sich auf den Weg dorthin, wobei er die Soldaten, die bei den Panzern standen, ignorierte.
Die Menge stand um ein mannsgroßes Katapult herum, das aus einer Astgabel angefertigt war. Schläuche dienten als Schlinge, und das Ende des Astes war im Boden eingegraben. Aufgeregte Demonstranten legten mit roter Farbe gefüllte Ballons in die Schlinge und feuerten sie in Richtung Denkmal. Wenn ein Ballon über einer jungfräulichen weißen Stelle platzte, die noch nicht mit roter Farbe bedeckt war – was nicht oft vorkam, denn das Denkmal war bereits über ein Drittel rot gefärbt – kreischten die Demonstranten wie verrückt. Leroy sah zu, wie sie nach einem erfolgreichen Schuß um das Katapult herumtanzten. Er näherte sich einem der ruhigeren, sitzenden Zuschauer.
»Willst du einen Joint kaufen?«
»Wieviel?«
»Fünf Dollar.«
»Zuviel, Mann! Du mußt verrückt sein! Wie wär’s mit einem Dollar?«
Leroy ging weiter.
»He, warte! Ich nehm einen Joint. Fünf Dollar … shit.«
»Hör auf mit dem Geschrei, Mann!«
Der Demonstrant schob sich die langen, blonden Haarsträhnen aus der Stirn und zog fünf Dollar aus einer dicken Klammer voll Geldscheine. Leroy holte die abgegriffene Marlboro-Schachtel aus der Tasche und nahm den kleinsten Joint heraus. »Da. Viel Spaß. Warum feuert ihr eigentlich nicht eine von den Farbbomben auf die Panzer, eh?«
Die Kinder, die sich auf dem Boden niedergelassen hatten, lachten. »Werden wir, wenn du es schaffst, sie high zu machen.«
Er schlenderte weiter. Es waren nur noch fünf Joints übrig. Um sie los zu werden, würde er weniger als eine Stunde brauchen. Das hieß dreißig Dollar; aber was war das schon. Für den Einkauf würde nichts mehr übrigbleiben. Während er die Mall hinter sich ließ, schaute er noch einmal zurück auf das Denkmal; durch die Farbe sah es aus wie ein Knochen, der aus rohem Fleisch ragte.
Begierig, den geschäftlichen Teil hinter sich zu bringen, lief Leroy zum Dupon Circle hinauf und ließ sich
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