L wie Liquidator
fortnehmen. Er betrachtete sich in einer Spiegelscherbe, die gegen einen leeren THC-Aerosol-Kanister gelehnt war, und wußte sich vor Selbstbeglückwünschungen kaum zu fassen. Er war die reichste Ratte der East Side; möglicherweise der ganzen Stadt.
Er arbeitete sich durch ein Labyrinth überladener Stahlregale hindurch, die seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, hier standen. Die Verwalter des Bunkers hatten angeboten, sie vor seinem Einzug mitsamt ihren Inhalten zu entfernen; aber Ratte hatte darauf bestanden, daß sie blieben.
Als die Feuerwehr-Inspektorin gekommen war, um sein neu installiertes Sprinkler-System zu begutachten, war sie von dem Gerümpel in den Regalen entsetzt gewesen und hatte sich bemüht, das Appartement versiegeln zu lassen. Es hatte ihn eine Menge gekostet, sie zu bestechen, aber es war den Preis wert gewesen. Seit seinem Einzug hier hatte Ratte seinen Junk-Vorrat mindestens verdoppelt. Seit Jahren hatte ihn niemand zu Gesicht bekommen außer Ratte und gelegentlich einer Küchenschabe.
Endlich entspannte er sich, blieb kurz stehen, um einen vermodernden Schnabelschuh aus seiner ansehnlichen Schuhkollektion zu zerren. Er liebte das Bouquet feinen alten Leders und knabberte an den Schuhen, wann immer er genügend Muße dazu fand. Neben den Schuhen stapelte sich ein Haufen Bücher: seine private Bibliothek. Eine seiner bevorzugten Delikatessen war die Erstausgabe von Leaves of Grass [6] , die er aus der Sammlung seltener Bücher der New York Public Library gestohlen hatte. Um seine wohlbehaltene Rückkehr zu feiern, riß er die Seite 43 zu einem kleinen Imbiß heraus und stopfte sie in den Schnabelschuh. Er zerrte den Schuh über einen Haufen Schiefergestein und an Regalen vorbei, die mit elektronischem Plunder gefüllt waren: kaputte Monitore und defekte Schreibmaschinen, Mikrowellengeräte und automatische Vakuumpumpen. Er war beinahe bei seinem Nest angekommen, als der Staatliche hinter einer verdreckten ungarischen Flagge hervortrat, die von einem zerbrochenen Leuchtstoffkörper herunterhing.
Alarmiert hechtete Ratte instinktiv in Richtung des Mauerrisses, in dem er sein Nest gebaut hatte. Aber der Staatliche war zu flink. Ratte konnte die Waffe nicht identifizieren; alles, was er wahrnahm, war, daß er alles Gefühl in seinem Hinterteil verlor, als sie aufzischte. Er landete in einem Haufen Gerümpel, setzte seine Krabbelei aber fort; langsam und unter Qualen.
»Sie haben etwas, das ich haben will.« Der Staatliche trat nach ihm. Ratte schlitterte über den Zementboden auf den Riß in der Mauer zu und hinterließ eine dünne Kotspur auf dem Boden. Ratte kroch weiter, bis der Staatliche auf seinen Schwanz trat und ihn festnagelte.
»Wo ist der Staub?«
»Ich … ich weiß nicht …«
Der Staatliche trat erneut zu; Rattes linkes Wadenbein gab ein schnappendes Geräusch von sich, wie billiges Plastik. Er fühlte keinen Schmerz.
»Den Staub!« Die Stimme des Staatlichen bebte seltsam.
»Nicht hier. Zu gefährlich.«
»Wo?« Der Staatliche lockerte den Druck seines Fußes. »Wo?«
Ratte war verwundert, zu sehen, daß die Hand des Staatlichen, die das Gewehr hielt, zitterte. Zum ersten Mal sah er dem Mann in die Augen und bemerkte den bedeutungsvollen gelben Farbschimmer in ihnen. Da erkannte Ratte, wie sehr er den Gesichtsausdruck des Staatlichen vorher am Koch-Terminal mißdeutet hatte. Er war nicht gelangweilt, sondern entleert.
Einen Augenblick lang konnte er sein ungewöhnliches Glück nicht fassen. Feilschen um Zeit, sagte er sich selbst. Noch besteht eine Chance. Obwohl er in die Ecke gedrängt war, wußte er, daß ihn sein Instinkt, zu kämpfen, irreleitete.
»Ich kann Ihnen das Zeug im Handumdrehen holen, wenn Sie mich gehen lassen«, sagte Ratte. »Dauert zehn oder fünfzehn Minuten. Sie sehen so aus, als hätten Sie es nötig.«
»Wovon reden Sie überhaupt?« Die Selbstsicherheit des Staatlichen begann abzubröckeln, und Ratte spürte, daß er den Mann in Händen hatte. Der Staatliche brauchte den Staub für sich selbst. Er war einer der Toten.
»Machen Sie es sich nicht selbst schwer!« sagte Ratte. »In meinem Nest befindet sich ein Datenanschluß. Neben dem Spalt in der Mauer. Ich brauche zehn Minuten.« Er begann, sich in Richtung des Nestes zu hangeln. Er wußte, daß der Staatliche nicht wagen würde, ihn aufzuhalten; der Mann steckte bereits tief im Entzug. »Nur zehn Minuten … dann können Sie soviel Staub haben, wie Sie nur wollen.«
Der arme Irre hatte
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