L wie Liquidator
Kunststoffetzen und Metallsplitter befanden sich elf Leichen (die anderen einundachtzig Toten schwebten oder drifteten in Form von Atomen durchs All). Mike, Celeste, Sean, Lelani, Abo, Kenung-Ute, Dee, Rodrick, Elladine, Gregow … Sie waren von einer Kraft verstümmelt worden, die sich nicht um protoplasmatische Empfindsamkeit scherte. Blut und andere, noch gräßlichere Dinge klebten an den bizarren Formen, die nach der Abkühlung der teilweise geschmolzenen Metall- und Plastikkonstruktionen entstanden waren.
Ich schloß die Augen und schrie. Erneut rumorte es in meinem Magen, und Tränen wollten unter den Lidern hervorquellen. Selbst wenn es nur Fremde gewesen wären: Ihr schrecklicher Tod hätte mich dennoch zutiefst erschüttert. Aber ich hatte sie alle gut gekannt, als Freunde und Kameraden. Keine Erfahrung meines fünfundzwanzigjährigen Lebens hatte mich auf ein derartiges Entsetzen vorbereitet.
Schließlich zwang ich mich dazu, den Blick auf Steve zu richten. Er war nicht so sehr verstümmelt worden wie die anderen, doch gerade sein Tod traf mich besonders. Er war mein bester Freund gewesen und hatte mir von allen am nächsten gestanden.
Ich kann kaum glauben, daß du es wirklich bist, Steve. Unmöglich! Dieses halb verbrannte und verkohlte Stück Fleisch darf nicht Steve Whitecloud sein! Aber wo bist du, Steve? Was hat meine Inkompetenz aus dir gemacht?
Er war von einem scharfkantigen und glühenden Trümmerstück getroffen worden und sah entsprechend aus: Die Hitze hatte ihm die Arme und Beine so sehr verbrannt, daß kaum mehr Stümpfe übrig waren. Der Unterleib war karbonisiert, das Gesicht eine blutige und formlose Masse.
Ich starrte ihn an und quälte mich selbst. Sieh ihn dir nur richtig an! Sieh dir an, wie du ihn zugerichtet hast!
Steves Kopf bewegte sich zitternd.
Ich rief nicht seinen Namen, und ich brach auch nicht in Jubel aus – dazu blieb keine Zeit. Ich griff unter die Kommandokonsole und holte den Medkasten hervor. Dann eilte ich auf Steve zu. Ich hielt den Kasten weit von mir gestreckt und benutzte ihn als Schild, um Splitter und Bruchstücke von Geräten abzuwehren. Die Haftstiefel versetzten mich dazu in die Lage, trotz der Schwerelosigkeit auf dem gewölbten Deck zu gehen. Dennoch brauchte ich eine halbe Ewigkeit und mußte mich sehr anstrengen, um in die Mitte des Raumes zu gelangen.
Steve schwebte dort über dem Boden, und ein Fetzen der Uniformhose hatte sich hinter dem scharfkantigen Rand einer geborstenen Decksplatte festgehakt. Der Luftzug – hervorgerufen von irgendeinem Leck – ließ ihn wie einen Kinderballon hin und her tanzen. Mir fiel kein Ort ein, an dem Steve es bequemer gehabt hätte, und so ließ ich ihn, wo er war. Ich achtete jedoch darauf, daß ihm keine der umherschwebenden Trümmerstücke zu nahe kamen und weitere Verletzungen verursachten.
Zuerst vergewisserte ich mich, daß Steve noch lebte. Das war nicht weiter schwer: Ich berührte ihn, und er stöhnte. Das heisere Krächzen beruhigte mich. Er war bei Bewußtsein und konnte Geräusche von sich geben.
Gepriesen sei Allah! Halt durch, Steve! Ich gebe mir alle Mühe, dir zu helfen, aber es kommt in erster Linie auf dich selbst an!
Ich konnte recht deutlich sehen, in welchem Zustand sich Steve befand, denn der Glutsturm hatte seine Uniform fast völlig verbrannt. Die Reste waren nicht mehr weiß, sondern rot. Geronnenes Blut und geschwärzte Haut bedeckten zwei Drittel seines Körpers. Im Rücken zeigten sich Risse von verschiedener Tiefe und Länge, und in den Stümpfen der Arme und Beine sah ich verkohltes Muskelgewebe und Knochensplitter. Das Gesicht …
Fast hätte ich mich erneut übergeben. Ohne die Lektionen der psychologischen Abteilung TOWs wäre ich wahrscheinlich ohnmächtig geworden. Die hypnotischen Sperren gegenüber profunden Schocks funktionierten und bewahrten mich davor, das Bewußtsein zu verlieren.
Ich schreckte unwillkürlich davor zurück, Steve zu berühren, aber es mochte sich als fatal für ihn erweisen, wenn ich noch mehr Zeit verlor, und deshalb machte ich mich ans Werk. Ich entdeckte keine Blutungen, die es zu stillen galt. Die Glut hatte praktisch alle Wunden Steves kauterisiert. Um ganz sicher zu gehen, holte ich den Injektor hervor und verabreichte ihm 60 Kubikzentimeter Stralazin. Die »Wunderarznei« bewirkt, daß das Knochenmark fünfzigmal mehr Blut produziert als üblich. Darüber hinaus injizierte ich Steve eine hochkonzentrierte Nährlösung.
Verzweifelt
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