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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Tu es jetzt sofort! Ich habe Schmerzen … ich …«
    »Ich gebe dir noch einen Schmerzblocker.« Ich griff nach dem Injektor.
    »Himmel, sei doch nicht … so verdammt stur! Wenn ich … ich es doch nur selbst tun könnte! Aber … ich brauche … deine Hilfe!«
    Ich gab keine Antwort und verabreichte ihm die Injektion. Ich wartete eine Zeitlang und fragte dann: »Geht es dir jetzt besser?«
    »Ja. Danke.«
    »Steve, ich werde dich nicht töten.« Die Situation erschien mir einerseits so ernst und andererseits derart bizarr, daß ich das Gefühl hatte, zwischen mir und der Wirklichkeit befände sich eine Barriere. »Ich kann nicht.«
    »Du elender … Feigling!«
    »Du brauchst nicht zu versuchen, mich wütend zu machen. Das hat keinen Sinn. Nein, Steve, schlag dir das aus dem Kopf!«
    »Alle anderen … hat es erwischt. Nur … uns beide … nicht. Was spielt … ein Toter mehr oder weniger … für eine Rolle?«
    Diese Frage traf mich genau an meiner empfindlichsten Stelle. Zweiundneunzig Leben. Meine Verantwortung. Der Kommandant ist immer verantwortlich, erst recht dann, wenn etwas schiefgeht.
    Ich hatte falsche Entscheidungen getroffen. Wenn mir klar gewesen wäre, daß es sich bei den ersten Ortungsreflexen nur um einen Scheinangriff handelte, wenn ich die Torpedos nicht verschwendet hätte – aber während des Krieges mußte man dauernd schwierige Entscheidungen treffen. Ich hatte mir alle Mühe gegeben, die Situation richtig einzuschätzen – und ich mußte mich mit den Konsequenzen meines Versagens abfinden.
    »Willst du mich … am Leben erhalten, um … um dein Gewissen zu beruhigen?« hauchte Steve. »Hast du vor, dich … mit meiner Rettung von der … Schuld zu befreien?«
    »Verdammt, sei endlich still!«
    Ich stieß mich ab, schwebte auf das nächste Sichtfenster zu und hielt nach einem Weißboot Ausschau. Zumindest redete ich mir das ein. Ich versuchte, so tief wie möglich durchzuatmen und die Krämpfe in der Magengrube zu überwinden.
    Nichts. Von Rettungsschiffen war weit und breit nichts zu erkennen. Ich sah nur die Schwärze des Alls, das Funkeln der Sterne, Trümmer und die Aluminiumsegel des Katastrophenfalters. Ich war in einem Leichenhaus gefangen, zusammen mit meinem halbtoten besten Freund, der offenbar völlig übergeschnappt war.
    Plötzlich konnte ich die Vorstellung nicht ertragen, erneut den Blick auf Steve zu richten. Ich haßte die Bürde, zu der er für mich geworden war, die Qual, die seine Worte in mir bewirkten. Ich wußte, daß ich für den Augenblick alles für ihn getan hatte, was mir möglich war, und so verharrte ich an dem Sichtfenster.
    Ich gab mir alle Mühe, an nichts zu denken, als ich eine Rationspackung öffnete, etwas aß und einige Schlucke aus dem Wasserschlauch trank. Doch der mentale Aufruhr hinter meiner Stirn legte sich nicht. Ein Vulkan aus Emotionen schien in mir zu eruptieren, und in der Magengrube pochte nach wie vor dumpfer Schmerz. Es fiel mir schwer, überhaupt irgend etwas zu mir zu nehmen, und noch schwieriger war es, es nicht sofort wieder zu erbrechen. Aber ich benötigte irgend etwas, das mich beruhigte, und zusätzliche Kraft konnte ich sicher gut gebrauchen. Nach einiger Zeit bemerkte ich, daß ich wie Espenlaub zitterte.
    Doch nach wie vor weigerte sich mein Verstand, die Situation zu ignorieren. Ich wünschte plötzlich, dem Feind wäre die vollständige Vernichtung von B-26 gelungen. Vielleicht ändert er seine Meinung, wenn er sich erst an das Leben als Carrollit gewöhnt hat.
    Ja. Oder er haßt mich möglicherweise für den Rest seiner Tage.
    Ich begab mich erneut an die Seite Steves und flüsterte ihm zu: »Verdammt, setz mir doch nicht so zu! Nun, du willst also sterben. Gut. Vielleicht erfüllt sich dein Wunsch von ganz allein. Aber bitte mich nicht darum, dich zu töten! Warte ab, bis sie dich in einer Box untergebracht haben. Dann kannst du dich immer noch umbringen!«
    »Nein!« erwiderte Steve. »Du weißt, das ist unmöglich … Sie nehmen … eine Hypnokonditionierung vor, die … die so etwas verhindert. Ich schätze, die … meisten Carrolliten halten nicht viel von ihrer … neuen Existenzform.«
    Ich nickte, obgleich Steve das nicht sehen konnte. Er hatte natürlich recht. Und ich sah mich dazu gezwungen, einen anderen Weg zu finden, um ihn zur Vernunft zu bringen.
    »So schlimm sind die Boxen sicher nicht!« beharrte ich. »Carrolliten können fast alles machen, wozu auch normale Menschen in der Lage sind – manches sogar

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