Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
blutdurchtränkt. Deswegen erkannte sie auch erst jetzt, dass es das Muster von einem der Hemden war, die sie und die anderen trugen.
Ihr Atem stockte.
Das Stück Stoff, das sie in der Hand hielt, war ein selbst gebasteltes Stirnband. Kathy hatte es für Tian angefertigt, damit er die Schreie der Verfolger nicht mehr so laut hörte.
Wie kam es hierher?
Jenna richtete sich auf, blickte sich in beide Richtungen um, aber es war niemand zu sehen.
Kathy, bist du da?
Jeb taumelte durch die Gänge, die sich vor ihm öffneten, ohne ein Ziel zu verfolgen. Als die Wände verschwunden waren, war es ihm kurzfristig besser gegangen und er hatte wieder Luft bekommen. Trotzdem war er so schwach gewesen, dass er eine Weile auf allen vieren vorwärtsgekrochen war. Schnell hatte er erkannt, dass er so nicht vorankommen würde. Irgendwann hatten sich die Wände um ihn herum erhoben und einen Gang gebildet, dem er nun orientierungslos folgte.
Sein Kopf war leer. Jegliche Gedanken nur noch ein weit entferntes Echo in der Halle seiner Ängste. Die Beklemmung kam in Wellen und inzwischen war er darauf vorbereitet, aber er konnte ihr so gut wie nichts entgegensetzen. Seine Widerstandskraft war gebrochen. Jeb hatte sich kraftlos der Angst ergeben.
Die meiste Zeit hielt er die Augen geschlossen, tastete sich halb blind an den Wänden entlang. Er wusste noch, dass er dringend irgendwohin musste, aber er hatte nicht den blassesten Schimmer, was das war, und schon gar nicht, wo. Er versuchte, sich zu erinnern, was war, verspürte aber nur ein sehnsuchtsvolles Ziehen in seiner Brust. Er musste sich um irgendetwas kümmern, es gab jemanden, um den er sich Sorgen machte. Er gab es auf, darüber nachzudenken, als sich erneut alles in ihm zusammenzog und er einen erneuten, lähmenden Angstzustand erlebte. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, seine Hände waren klamm und zitterten. Jeb wartete keuchend ab, bis die Angst mit all ihrer zermürbenden Macht über ihn hinweggefegt war. Er hatte alle Hoffnungen fahren lassen. Aber etwas trieb ihn voran. Einfach nur weiter. Seine Beine trugen ihn vorwärts, ohne dass er es ihnen befohlen hatte.
Jeb wusste nicht, wie schnell die Zeit verging. Ob es überhaupt noch so etwas gab wie Zeit. Er fühlte, dass er noch ewig so weitergehen könnte, ohne überhaupt zu ahnen, was er da tat, als der Gang vor ihm plötzlich dunkler wurde. Er spürte die Veränderung hinter seinen geschlossenen Lidern und blieb auf zittrigen Beinen stehen. Er öffnete die Augen, doch alles blieb verschwommen. Kaum nahm er die Umgebung wahr, doch da merkte er, dass sich zu seiner Rechten etwas veränderte. Er drehte sich in diese Richtung. Ein Teil der Wand zog sich zurück, legte eine Glasfläche frei, die vom Licht des dahinterliegenden Raumes nur spärlich erleuchtet wurde.
Jeb taumelte dem Licht entgegen und stieß schmerzhaft mit dem Kopf gegen die Scheibe. Der unerwartete Schmerz ließ ihn zurücktaumeln und weckte ihn gleichzeitig aus seinem Dämmerzustand. Zum ersten Mal seit Stunden nahm Jeb seine Umgebung wahr.
Zäh kam ihm die Erkenntnis, wo er sich befand und wie er hierhergekommen war.
Jenna.
Ein Wort. Ein Name. Dann wurde ein Gesicht daraus. Ihr Gesicht. Ein Lächeln.
Wo bist du?
Nach und nach ordneten sich seine Gedanken und er erinnerte sich wieder an das, was seit seinem unerklärlichen Erwachen in der ersten Welt geschehen war.
Jenna, Mischa, León, Mary. Tian tot. Kathy tot.
Die Tore.
Er wusste es wieder. Erleichterung durchflutete ihn. Diesen Jeb, der die Gruppe durch die Abgründe der ersten Welten geführt hatte, den kannte und mochte er.
Eine Bewegung hinter der Glasscheibe erregte seine Aufmerksamkeit. Das Licht im Raum wurde heller und er erkannte etwas.
Mühsam setzte sein Geist das Bild vor ihm zusammen.
Ein Zimmer. Weiße Wände. Ein Tisch mit zwei Stühlen. Ein Nachttisch neben einem Bett auf Rollen. Alles weiß.
Das ist ein Krankenzimmer.
Ein Mann saß auf der Bettkante, hielt die Hand einer Frau, sprach Worte, die nicht durch die Scheibe drangen.
Das Gesicht der Frau. Ausgemergelt. Ausgezehrt von der Krankheit.
Schwarzes Haar, das strähnig auf dem Kopfkissen lag. Ehemals bronzefarbene Haut, die sich in ein blasses Gelb verwandelt hatte, und Augen voller Schmerz.
Mom?
Jeb brüllte das Wort heraus: »Mom!«
Seine Faust hämmerte gegen die Glasscheibe, aber die beiden Gestalten im Zimmer nahmen ihn nicht wahr.
Als Jeb innehielt, erkannte er, wer da am Bett seiner sterbenden
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