Labyrinth der Spiegel
Hersteller von alkoholischen Getränken bieten ihre Produkte in der virtuellen Welt zu einem rein symbolischen Preis an. Als Reklame.
Pepsi Cola gibt’s ganz umsonst, das war ein PR-Schachzug. Dafür kostet eine Coke genauso viel wie in der realen Welt.
Und auch sie wird gekauft.
Ich nehme mein Glas, setze mich an einen freien Tisch direkt vor der Bar und beobachte die Gäste, was immer interessant ist.
Es sind etwa genauso viele Männer wie Frauen da. Die Frauen haben alle eins gemeinsam: Es sind echte Schönheiten.
Es ist alles vertreten, von der Blondine skandinavischen Typs bis zur Afrikanerin mit anthrazitfarbener Haut. Die Männer dagegen sind fast ausnahmslos Monster. Okay, eigentlich ist dem nicht so. Mein Unterbewusstsein packt einfach sämtliche Dusseligkeiten in ihre Avatare, sowohl die viel zu muskulösen Körper wie auch die nur allzu bekannten Gesichter von Filmschauspielern, die auf diese Bodybuilderkörper gepappt sind.
Bei Frauen zeigt es sich dagegen mitleidig – was selten genug vorkommt: Sie sind eben alle sehr schön.
Ich nehme einen Schluck vom Gin und lehne mich entspannt gegen den Tresen. Wunderbar.
Keine reale Bar, kein reales Restaurant kann es mit einer virtuellen Einrichtung aufnehmen. Hier ist das Essen immer gut. Hier brauchst du nie auf den Kellner zu warten. Und selbst wenn du wie ein Schwein gesoffen hast, kriegst du keinen Kater.
Du kannst dich gepflegt betrinken, falls du entsprechende Erfahrung hast … wird dein Unterbewusstsein gern in einen alkoholischen Nebel abtauchen. Vielleicht produziert der Organismus dafür körpereigene Narkotika wie Endorphine, keine Ahnung. Auf jeden Fall verfliegt der Rausch nach dem Auftauchen aus der Tiefe nicht gleich.
»Ist hier noch frei?« Eine Frau setzt sich zu mir. Blonde Haare, makellose, fast ein wenig blasse, matt glänzende Haut, ein schlichtes weißes Kostüm. Um ihren Hals baumelt an einer Goldkette ein Medaillon, wahrscheinlich irgendein Programm. Sie ist attraktiv und glücklicherweise ein Original. Entweder hat sie ihr Gesicht selbst designt,
auf ein extrem seltenes Bild zurückgegriffen oder in irgendeinem Film ein hübsches, unverbrauchtes Gesichtchen entdeckt.
»Ja«, antwortete ich. Der Barkeeper stellt der Frau bereits ein Glas Weißwein hin. Chilenischen, Imperator. Sie hat Geschmack.
»Ich habe Sie hier schon öfter gesehen«, teilt mir die Frau mit.
Achtung!, heult die Alarmanlage in meinem Hirn los.
»Komisch«, erwidere ich. »So oft komme ich nämlich gar nicht her.«
»Ich ständig«, sagt sie.
Das ist eine Lüge.
Ich könnte den virtuellen Raum jetzt verlassen und mir die rund zwanzig Kontrollfotografien ansehen, die sich auf meinem Computer befinden. Die Gäste der Bar aus den letzten beiden Monaten. Es ist immer nützlich, neue Gesichter zu archivieren.
Aber wozu? Ich weiß auch so, dass ich diese Person noch nie getroffen habe.
»Normalerweise benutze ich andere Gesichter.« Die Frau muss meine Gedanken gelesen haben. »Aber Sie sind immer mit demselben unterwegs.«
»Es ist ein teures Vergnügen, das Äußere zu ändern«, fange ich an, mich selbst herabzusetzen. »So blöd, mich aus Schwarzenegger und Stallone zusammenzubasteln, bin ich nicht. Und einen Profi kann ich mir nicht leisten.«
»Die Tiefe ist ohnehin eine teure Angelegenheit.«
Die Frau nennt den virtuellen Raum Tiefe . Das gefällt mir.
Im Unterschied zu ihrem sonstigen Auftreten.
Ich zucke die Schultern. Was für ein merkwürdiges Gespräch!
»Sagen Sie, Sie sind doch Russe, oder?«, erkundigt sie sich.
Ich nicke. Die virtuelle Welt ist voll von Russen, denn nirgendwo sonst schert man sich so wenig darum wie bei uns, wie lange jemand am Rechner sitzt.
»Verzeihen Sie …« Die Frau kaut auf der Lippe, sie ist offenbar ziemlich nervös. »Das ist vermutlich sehr indiskret – aber wie heißen Sie?«
Mir ist klar, worauf die Frage abzielt.
»Nicht Dmitri Dibenko. Und darum geht es doch, oder?«
Die Frau mustert aufmerksam mein Gesicht, ehe sie nickt. Mit einem einzigen Schluck leert sie ihr Weinglas.
»Das ist die Wahrheit«, füge ich in sanftem Ton hinzu. »Ehrenwort.«
»Ich glaube Ihnen.« Die Frau nickt dem Barkeeper zu, dann streckt sie mir die Hand hin. »Ich bin Nadja.«
Ich ergreife ihre Hand. »Leonid«, stelle ich mich ebenfalls vor.
Damit wäre das erledigt, jetzt können wir zum Du übergehen. Die Tiefe ist demokratisch. Übertriebene Höflichkeit kommt hier einer Beleidigung gleich.
Die Frau wirft
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