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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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die Haare nach hinten, eine natürliche und schöne Geste. Sie hält dem Barkeeper ihr Glas hin, der ihr unverzüglich nachschenkt. Ihr Blick schweift durch den Raum.
    »Was glaubst du, besucht er die virtuelle Welt wirklich?«

    »Ich weiß nicht. Vermutlich schon. Bist du Journalistin, Nadja?«
    »Ja.« Sie zögert eine Sekunde, ehe sie ihre Visitenkarte aus der Tasche holt und mir hinhält. »Hier!«
    Die Karte lässt nichts zu wünschen übrig, nennt außer ihrer IP-Adresse auch Voice over IP, Vor- und Zuname. Nadeshda Meschtscherskaja, Magazin Dengi . Journalistin.
    Da Windows Home schweigt, ist die Karte sauber, das bedeutet, sie liefert mir wirklich nur eine Adresse und nicht noch eine böse Überraschung. Ich stecke sie weg. »Danke«, sage ich.
    Leider muss ich ihr eine entsprechende Liebenswürdigkeit meinerseits schuldig bleiben, doch anscheinend hat Nadja damit sowieso gerechnet.
    »Diese Tiefe ist schon seltsam«, bemerkt sie beiläufig und nippt am Wein. »Ich bin gerade in Moskau, du vielleicht in Samara, der Junge da drüben in Pensa …«
    Der »Junge« sieht aus wie ein feuriger Mexikaner aus einer Daily Soap. Als er ihren Blick auffängt, reckt er stolz das Kinn vor. O ja, Nadja durfte sich auf ihre Beobachtungsgabe wirklich was zugutehalten. Der »Junge« ist in der Tat Russe.
    »Der Haufen da hinten, das sind alles Amis«, fährt Nadja schonungslos fort. »Dieser komische Vogel ist eindeutig Japaner … Guck dir doch nur mal die kullerrunden Augen an, die er sich designt hat! Aber jede Nation hat eben ihre eigenen Komplexe. Nur dass wir dann am Ende alle inexistente Restaurants besuchen und uns bei einem Glas imaginierten Schnapses etwas vormachen, während Hunderte von Computern Energie fressen, Prozessoren
heiß laufen und Megabytes von sinnlosen Informationen durch die Telefonverbindungen gejagt werden …«
    »Informationen sind nie sinnlos.«
    »Von mir aus.« Nadja streift mich kurz mit ihrem Blick. »Dann einigen wir uns vielleicht darauf: von überholten Informationen. Und das soll das neue Zeitalter einer globalen Technologie sein?«
    »Was hast du denn erwartet? Einen Austausch von Dateien und Gespräche über die Leistungsfähigkeit von Prozessoren? Ich bitte dich! Wir sind schließlich Menschen!«
    »Wir sind Menschen einer neuen Epoche!«, hält Nadja dagegen. »Die Virtualität kann die Welt ändern, doch wir ziehen es vor, den alten Dogmen einen frischen Anstrich zu geben. Nanotechnologie, die genutzt wird, um Alkohol zu imitieren – das ist noch dämlicher, als mit einem Mikroskop einen Nagel einzuschlagen.«
    »Du bist wohl eine Tjurinerin!«, vermute ich.
    »Das bin ich!«, bestätigt sie trotzig.
    Die Tjuriner hängen dem SF-Schriftsteller Alexander Tjurin aus Petersburg an. Sie treten für die Symbiose von Mensch und Computer ein und versprechen sich von der virtuellen Welt unvorstellbare Wohltaten.
    »Was hast du dann in dieser blöden Bar verloren?«, will ich wissen.
    »Ich suche Dibenko. Ich muss ihn unbedingt fragen … wie er sich das alles vorgestellt hat. Ob er diese ganzen Entwicklungen für richtig hält.«
    »Verstehe. Aber du willst doch wohl nicht allen Ernstes behaupten, dass dir diese Welt missfällt?«
    Nadja zuckt die Achseln.

    Ich strecke die Hand aus, um ihr Gesicht zu berühren. »Warme Hände, herber Wein, kühler Abendwind und duftende Blumen, das Plätschern warmer Wellen, der Mond am Himmel und der pieksende Sand unter den Füßen – willst du wirklich behaupten, das gefällt dir nicht?«
    »Dafür gibt es bereits die Realität.« Sie sieht mir in die Augen.
    »Aber wie oft triffst du all das in der Realität zusammen an? Hier brauchst du bloß eine Tür zu öffnen …« Ich deute mit einer Kopfbewegung auf eine unauffällige Tür im »japanischen« Teil des Restaurants. »… und schon liegt dir das Paradies zu Füßen. Oder willst du vielleicht lieber an einem kalten Herbstmorgen am Waldrand stehen, am Steilufer eines Flusses, und einen heißen Glühwein aus einem bauchigen Becher trinken? Wenn um dich herum sonst niemand ist?«
    »Der Besitzer dieses Restaurants ist ein Romantiker«, entgegnet Nadja.
    »Was denn sonst?«
    »Leonid, alles, was du sagst, stimmt. Aber für Vergnügungen dieser Art ist die Realität da.«
    »Nur dass diese Vergnügungen in der Realität nicht allen offenstehen.«
    »Als ob das für die Tiefe selbst nicht gilt, Ljonja. Ich weiß nicht, woher du das Geld für deine ständigen Besuche nimmst, und es geht mich auch

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