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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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nichts an. Aber Milliarden von Menschen sind noch nie in der Tiefe gewesen.«
    »Millionen von Menschen haben auch noch nie einen Fernseher gesehen.«

    »Die virtuelle Welt sollte kein Ersatz für die Realität sein«, verkündet Nadja kategorisch.
    »Natürlich nicht. Machen wir doch stattdessen aus Armen und Erniedrigten lieber Datenträger, mutieren wir zu Impulsen im elektronischen Netz …«
    »Leonid, du kennst die Lehren Tjurins nur vom Hörensagen«, unterbricht mich Nadja in resolutem Ton. »Komm einmal in unsere Kirche.«
    Ich zucke die Achseln. Vielleicht mache ich das tatsächlich mal. Andererseits gibt es in der Tiefe unzählige interessante Orte – alle kannst du sowieso nicht aufsuchen.
    »Ich muss los.« Nadja steht auf. Sie knallt ein paar Münzen auf die Theke. »Ich habe heute nur noch eine halbe Stunde … und will noch zu ein paar anderen Orten.«
    »Um nach Dibenko zu suchen?«, frage ich. »Oder vielleicht um warmen Sand am hawaiianischen Strand und chilenischen Wein zu genießen?«
    »In dem Fall wäre es keine Arbeit mehr«, erwidert Nadja lächelnd. »Ein Abend am Strand, Wein … das schreit doch förmlich nach einer Fortsetzung. Und virtueller Sex ist eine feine Sache – aber nur wenn du zu Hause bist, allein in deinem Zimmer. Ich bin von der Arbeit aus hier. Sechs Rechner in einem Raum, an allen sitzen Leute. Glaubst du etwa, ich möchte meinen Kollegen ein solches Schauspiel liefern?«
    Sie ist extrem direkt und intelligent. Eine klasse Frau. Bleibt ihr nur zu wünschen, dass sie auch in der Realität zu diesem Scharfsinn und dieser Direktheit imstande ist.
    »Dann viel Glück«, verabschiede ich mich von ihr.
    »Danke, du geheimnisvoller Unbekannter.« Nadja beugt sich zu mir vor und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
    »Du bist markiert, Ljonja«, flüstern die Nadeln an meinen Schultern.
    Ich hole das Virenfresser-Tuch heraus und wische mir den Lippenstift von der Wange. »Das würde ich auch gern bleiben, meine Liebe«, sage ich und drohe Nadja mit dem Finger. »Ein geheimnisvoller Unbekannter.«
    Mit dieser Reaktion hat sie anscheinend nicht gerechnet. Immerhin verfügt sie über genügend Selbstbeherrschung, um nicht die Arme auszubreiten und Hals über Kopf davonzustürzen.
    Schade! Da hast du dir deinen ganzen Auftritt vermasselt, du blöde Kuh!
    Dabei haben wir uns doch so nett unterhalten …
    Ich leere mein Glas auf ex und schnippe mit den Fingern, um den Barkeeper auf mich aufmerksam zu machen. »Noch einen Gin Tonic, eins zu eins!«
    Der Mann runzelt die Stirn, mixt mir den Drink aber. Was er wohl für ein Gesicht gezogen hätte, wenn ich einen Tequila mit Tomatensaft bestellt hätte?
    »Ljonja?«
    Ich sehe mich um.
    Mein Freund, der Werwolf, ist gekommen. Er trägt einen weißen Anzug, Lackschuhe, eine etwas altmodische Krawatte. Sein Gesicht wirkt leicht nervös.
    »Hallo, Romka. Setz dich!«
    »Wer war die Lady?«
    »Die war völlig uninteressant.«

    Wir Diver neigen zu Paranoia, damit muss man sich abfinden.
    Es gibt einfach zu viele Leute, die scharf auf unsere realen Namen sind.
    Roman atmet geräuschvoll ein. »Sie hat versucht, dich zu markieren!«, empört er sich.
    »Ich weiß. Aber keine Panik, das war bloß eine Journalistin.«
    Romka setzt sich und nickt dem Barkeeper zu. Der schneidet ihm eine grauenvolle Grimasse, schiebt ihm aber ein Glas voll Absolut Pepper hin. Mir zieht sich schon alles zusammen, wenn ich nur sehe, wie Roman den Wodka hinunterstürzt. Er aber verzieht nur leicht das Gesicht, wischt sich über den Mund und hält dem Barkeeper das Glas nochmal hin.
    Ob er im realen Leben ein Alkoholiker ist?
    Ich weiß es nicht.
    Wir verstecken uns voreinander genauso wie vor unseren Feinden. Wir sind eine zu wertvolle Ware. Tiefseefische, in magischem Licht funkelnde Monster, die jeder Hai gern mal kosten würde.
    »Was ist mit dem Apfel?«, fragt Roman.
    »Alles bestens.« Ich lüfte das Revers meines Jacketts und klopfe gegen die Brusttasche meines Hemdes, in der die Diskette steckt. »Hier ist die Ware.«
    Daraufhin entspannt sich der Werwolf etwas. »Und wann kommt unser Kunde?«
    Ich sehe auf die Uhr. »In zehn Minuten. Wir treffen uns gleich hier, am Fluss.«
    »Wollen wir dann los?« Roman schnappt sich sein Glas.

    Ich nehme mir meins, und wir verlassen das Restaurant durch die Tür in der Steinwand. In dem schmalen Windfang sage ich: »Einen individuellen Raum für uns beide! Zugang für den Mann, der das Passwort Grau-Grau-Schwarz

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