Labyrinth der Spiegel
nennt.«
»Zu Befehl«, schallt es aus der Decke. Nun konnten noch so viele Gäste der Drei kleinen Schweinchen durch den virtuellen Raum spazieren, wir würden sie nicht sehen. Zu uns würde bloß noch der Mann vorstoßen, der das richtige Passwort kannte.
Durch die Außentür kommen wir in den Wald. In den dichten, unberührten Wald des Nordens. Kalter Wind frisst sich bis auf die Knochen. Ich zittere. Meinem Begleiter macht die Kälte dagegen nichts aus. Ob er nur einen einfachen Helm hat, ohne Ventilator?
Wer weiß …
Er verdient genauso viel wie ich, aber vielleicht hat er ja eine große Familie zu ernähren. Oder er ist wirklich Alkoholiker, und ein paar Hundert Dollar reichen ihm nur für wenige Tage?
Hinter uns steht ein bescheidenes Steinhaus. So sehen die Drei kleinen Schweinchen von dieser Seite aus. Wir gehen einen Pfad hinunter und nippen immer wieder an unseren Gläsern.
»Du magst Pfefferwodka?«, frage ich Romka beiläufig.
»Ja.«
Einsilbig und ohne jeden weiteren Kommentar. Ich wüsste wirklich gern, wer du eigentlich bist, Roman.
Aber ich werde es nie herauskriegen. Denn die virtuelle Welt bestraft alle, die unvorsichtig sind.
Schließlich erreichen wir den Fluss. Über den steilen Hang zieht sich eine dichte Decke aus flachen Sträuchern. Im starken Wind muss ich die Augen zukneifen. Am Himmel hängen Wolken. Der Fluss braust und hat etliche Stromschnellen, obwohl wir nicht in den Bergen sind. In der Ferne steigt ein Schwarm großer Vögel auf, keine Ahnung, was für welche, so nah kommen sie nie herangeflogen. Unmittelbar am Hang ist ein kleiner Tisch aufgebaut, auf ihm finden sich je eine Flasche Gin, Tonic und Absolut Pepper, außerdem eine vernickelte Thermoskanne, in der, wie ich weiß, Glühwein ist. Ein guter, mit Nelken, Vanille, Muskatnuss, Pfeffer und Koriander. Am Tisch stehen drei Korbstühle. Romka und ich setzen uns nebeneinander hin und sehen zum Fluss hinunter.
Es ist schön.
Die weiße Gischt auf den Steinen, der kalte Wind, das volle Glas in der Hand, die graublauen Wolken, die sich über uns zusammenballen – morgen schneit es bestimmt. Nur dass es in der virtuellen Welt kein Morgen gibt.
»Ich wüsste zu gern, woher dieser Fluss kommt«, bemerke ich und trinke einen Schluck.
»Einen schöneren Ort habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen«, gesteht der Werwolf in seltsamem Ton.
So ist es immer. Jeder hat seine eigenen Assoziationen und Vergleiche. Roman verbindet mit dieser Landschaft offenbar etwas. Für mich ist sie bloß ein schöner Ort.
»Bist du schon mal hier gewesen?«
»In gewisser Weise.«
Interessant.
»Was sind das für Vögel, Roman?«
»Harpyien«, antwortet er, ohne hinzusehen. Ein Schluck – und sein Glas ist leer.
Trotzdem bleibt er stocknüchtern.
Wie ich die Geheimnisse hasse, die uns alle umgeben. Wir fürchten einander. Wir fürchten alles.
»Immerhin ist das Wetter schön«, stelle ich beiläufig fest.
»Was für ein verschneiter Sommer heute«, erwidert Roman. Und sieht mich mit ironischem Blick an. Er kennt diese Gegend. Sie spricht etwas in ihm an.
Aber ich werde nie erfahren, was.
Ich gieße mir ein wenig von dem Glühwein in einen dickwandigen Tonbecher und inhaliere den Duft. Ein verschneiter Sommer? Von mir aus. Es gibt nichts Besseres als schlechtes Wetter.
»Möchtest du einen rauchen, Ljonja?« Roman hält mir ein Zigarettenetui hin.
»Nein.«
Offenbar ist er tatsächlich ein Alkie und ein Kiffer.
»Gras soll längst nicht so schädlich sein wie Alkohol und Nikotin.«
»Und im Himmel ist Jahrmarkt.«
Roman zögert kurz, zündet sich dann aber doch einen Joint an.
Echt! Allmählich kommen mir Nadjas Argumente gar nicht mehr so abwegig vor.
Ich trinke den Glühwein, Roman raucht sein Hasch. Nach zwei Minuten schnippt er den nur halb aufgerauchten
Joint zu Boden. »Kinderkram«, sagt er. »Gieß mir mal etwas Wein ein.«
»Das ist Glühwein.«
»Was zum Teufel spielt das für eine Rolle?«
Jetzt trinken wir beide von dem heißen Wein mit Kräutern.
»Rulez!«, prostet Roman.
Dem kann ich uneingeschränkt zustimmen. Rulez – das ist etwas Gutes. Kaltes Bier, ein neuer PC, eine scharfe Braut, ein erfolgreich ausgeknocktes Virus … und Glühwein.
Wir sitzen hier an diesem Hang und lassen es uns gut gehen.
»Was war in dem Apfel?«
»Ein neues Medikament gegen Erkältung. Extrem wirksam.«
»Und das soll sechstausend Dollar wert sein?«, schnaubt Roman.
»Hunderttausend.«
»Oh!« Roman
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