Lachen mit Tränen in den Augen (German Edition)
Stock befunden – genau dort war das erste Flugzeug ins WTC 1 gerast.
Hayden blickte auf. Die letzten Jahre als Anwalt in der Rechtsabteilung der Vereinten Nationen hatten sein Gewissen nicht beruhigen können. Es gab keinen Frieden. Keine Vergebung. Keine Versöhnung. Keine Ruhe.
Nicht für unser Land, nicht für meinen Bruder, nicht für mich, erinnerte sich Shainee beklommen. Ich habe mit Mom und Dad telefoniert, bis die Verbindung abriss. Sie hatten mich von der Aussichtsplattform aus angerufen, nachdem das Flugzeug unter ihnen in den Turm gekracht und der Feuerball bis zu ihnen hochgeschossen war, weil sie Hayden nicht erreichen konnten. Er steckte in der Subway fest, und sein Handy hatte keinen Empfang. Ich habe als Letzte mit ihnen gesprochen, während ich die Bilder live auf CNN gesehen habe. Ich habe ihre Angst gespürt. Ihr Entsetzen, ihre Verzweiflung, ihre Resignation, als sie mit ihrem Leben abschlossen, weil ihnen klar war, dass es keine Rettung geben würde. Ich habe ihre panischen Schreie gehört, und das Donnern, als der Boden unter ihnen einbrach und der Turm einstürzte. Und ich habe die Stille gehört, als die Verbindung zusammenbrach. Für immer.
Ihr Bruder sah ihr in die Augen, und einen Augenblick lang teilten sie mit brennenden Augen die schrecklichen Erinnerungen an Moms und Dads Tod.
»Ich will mehr Zeit für mich und meine Familie haben«, sagte Hayden nach dem stillen Gedenken. »Ich hab nur noch dich, Schwesterchen – und natürlich Mark und Lexie. Während deiner Chemo haben wir stundenlang geredet, und mir ist klar geworden, dass mein Leben viel zu schnell an mir vorbeirauscht. Ich wache manchmal auf und weiß nicht, in welcher Stadt ich bin, auf welchem Kontinent. Wenn ich mit dir reden will, muss ich das Satellitentelefon samt Kommunikationsanlage aufbauen und damit rechnen, dass das Gespräch unterbrochen wird, wenn der Satellit am Horizont untergeht. Ich hab kein Haus, kein Auto, keine Frau und keine Kinder. Was ich besitze, passt in ein paar Pappkartons. Jetzt, da ich alles hingeschmissen habe, stehe ich vor dem Nichts.«
»John Grisham ist auch Anwalt. Er schreibt jetzt Bücher, weißt du.«
»Stell dir vor, ich hatte schon mal eines in der Hand. Warte, das war auf dem Flughafen in ... äh ... keine Ahnung, irgendwo near the middle of nowhere.« Er atmete tief durch, dann sagte er in einem besonnenen Tonfall, als habe er lange darüber nachgedacht: »Zehn Jahre meines Lebens, Shainee: Mach’n Haken dran. Und ich werd bald fünfzig ...«
»Aber ich zuerst.«
Er grinste frech. »Okay, ich lass dir den Vortritt.«
»Charmant, wie immer«, schmunzelte sie.
»Ja, so bin ich. Es sei denn, wir streiten uns, wer von uns mit Lego spielen darf. Oder bewerfen uns mit bunten Holzbauklötzen, so wie früher, als wir Minis waren. Du weißt schon: kleiner Bruder, große Schwester.«
»Du hattest eine echt harte Kindheit«, frotzelte sie. »Weißt du, ich kenn da jemanden bei UNICEF ...«
»Ach, lass mal, so schlimm war’s auch wieder nicht. Ich hatte ja dich als große Schwester, die sich für mich geprügelt hat.« Ein warmes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich an ihre gemeinsame Kindheit erinnerte, dann wurde er wieder ernst. »Shainee, es ist vielleicht die letzte Chance, noch einmal etwas Neues in meinem Leben zu beginnen. Ich will es mal ein bisschen ruhiger angehen lassen. Ich möchte mehr Zeit für dich und deine Familie haben. Ihr seid mir wichtig.«
Sie nickte gerührt.
»Und wie geht’s dir so?«, fragte er.
»Ganz prima.«
Er hob die Augenbrauen. »Ehrlich?«
»Yup.«
»Du hast jemanden kennengelernt.«
»Yup.«
»Tim.«
Sie nickte.
»Aha.« Er schmunzelte. »Ein toy boy?«
»Nein, ganz und gar nicht. Ein echter Kerl mit Herz. Großzügig und liebenswert.«
»Ist es was Ernstes?«
Sie zögerte kurz. »Kann schon sein ...«
Ihr Bruder grinste frech und zwinkerte ihr zu. »Soll ich dir mal die Nummer der Telefonseelsorge von San Francisco raussuchen?«
Shainee lachte. »Wofür hab ich einen kleinen Bruder?«
»Stimmt auch wieder. Erzähl doch mal. Habt ihr Spaß?«
»Jede Menge.«
»Sieh mal an«, neckte er sie. »Beim verträumten Händchenhalten, oder was?«
»Mhm.«
»Bei den verliebten Küsschen am Strand?«
»Mhm.«
»Echt jetzt?«
»Yup.«
Kurze Pause: »Und wie ist er so im Bett?«
»Hayden!«
»Schon gut!« Er feixte in die Videocam. »Hey, du hast es dir verdient, dich mal so richtig auszutoben.« Und nach kurzem
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