Lackschaden
Schule!«, verkündet meine Tochter mir dann während sie in den Kartoffeln rumpickt.
Ich zähle bis drei und versuche, gelassen zu bleiben. Nicht aufregen.
»Ich sehe leider ohne Schule keine Zukunft!«, gebe ich freundlich, aber doch bestimmt zurück. Was für eine erwachsene Antwort. Ich bin richtiggehend stolz auf meine Reaktion. Ich hätte ja auch direkt rumschreien können.
Es kläfft. Ach du je – Karl. Der Rauhaardackel von Rudi und Inge. Den hatte ich ja komplett vergessen. Als Rudi bei uns eingezogen ist, hat er selbstverständlich Karlchen mitgebracht.
»Der Hund gehört zu mir, der is lieb und pflegeleicht, ein guter Hund!«, hat er damals betont. Ein guter, aber auch alter Hund mit einem klitzekleinen Problem. Karl neigt ein wenig zur Inkontinenz. Er muss selbst nachts häufig raus.
»Guck mal, wo Karl ist, und lass ihn raus!«, fordere ich meinen Sohn auf.
»Ist das mein Hund?«, fragt Mark ungerührt.
»Nein, aber meiner auch nicht, und hier hat jeder was beizusteuern, damit das alles läuft!«, antworte ich.
Er bleibt einfach sitzen.
»Geh jetzt!«, brülle ich, denn wenn es sachlich und freundlich nicht funktioniert, muss man es eben anders versuchen. »Sofort!«, schreie ich noch hinterher.
»Gott, Mama, geht’s noch!«, kommentiert Claudia das Geschehen und Mark verlässt kopfschüttelnd den Tisch.
Nette Familie. »Da bist du ein bisschen selbst schuld!«, erklärt mir meine Mutter gerne, wenn ich mich über meine Kinder beschwere. »Die sind ein Produkt deiner Erziehung! Da musst du dich nicht weiter wundern!« Das ist sehr tröstlich. Alles läuft schief – und eine ist schuld. Ich. Habe ich meine Kinder zu sehr verzogen? Sollte ich endlich mal – wie mein Vater gerne sagt – andere Saiten aufziehen? Oder ist der Zug längst abgefahren? Ich habe neulich einen Hirnforscher gehört, der behauptet hat, bis zur Pubertät müsse man das mit der Erziehung erledigt haben, denn dann wäre alles gelaufen. Prima! Wenn das so ist, kann ich mir ja eigentlich jegliche Anstrengung sparen.
»Der Hund hat schon gemacht! Pipi!«, teilt mir Mark lapidar mit, als er die Treppe mit Karl runterkommt.
»Dann mache es weg! Ich will keine Details, mache es einfach weg!«
»Mama, das ekelt mich! Da muss ich kotzen!«
Natürlich macht er es nicht weg Und am Ende wische ich den Boden. Wer auch sonst? Ich könnte natürlich auf meinen hauseigenen Schlosser und Hundebesitzer warten, der leider gerade im Baumarkt ist, oder auf seinen Sohn, der dem Hund, rein familiär gesehen, wesentlich näher steht als ich, aber bevor sich der Geruch ausbreitet, erledige ich das wohl doch lieber selbst. Von allein wird der wohl kaum verschwinden.
Während ich auf Knien Karls Spuren beseitige, habe ich plötzlich das Gefühl, dass alles über mir zusammenbricht. Eine Welle der Traurigkeit kommt über mich. Angeschwappt wie aus dem Nichts. Was ist bloß los mit mir? Es war doch nicht mal ein außergewöhnlicher Tag. Aber ist es vielleicht genau das? Die Aneinanderreihung von nicht außergewöhnlichen Vorkommnissen? Sind es meine Hormone? Ist es meine Beziehung? Bin ich im Kreis all dieser Menschen um mich herum eigentlich allein? Brauche ich nur mal eine ordentliche Dosis Liebe? Oder werde ich geliebt und bin nur zu anspruchsvoll? Habe ich Erwartungen, die unrealistisch sind? Warum nur hadere ich so? Was fehlt?
Was die Liebe angeht bin ich unsicher. Liebe ich meinen Mann? Bin ich sogar verliebt? Prickelt es?
Ein Prickeln kann ich definitiv verneinen. Verliebt bin ich, bei genauerer Betrachtung, auch nicht. Zum Verliebtsein gehört nun mal dieses Prickeln, die Aufregung und Erregung, die Erwartung und die Leidenschaft dazu. Was ist mit der Liebe? Ist sie nicht um ein Vielfaches mehr – größer, gewaltiger und auch ruhiger. Entspannter.
Manchmal habe ich das Gefühl, es ist bei uns wie in dem Kästner-Gedicht mit dem Stock und dem Hut.
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Wo ist unsere Liebe hin? Geht Liebe einfach so, klammheimlich, still und leise? Wie kann man sie festhalten? Gibt es Wiederbelebungschancen? Eine Art Defibrillator für Gefühle? Oder ist es ein Fakt, dass die Liebe, so wie sie kommt, eben auch geht. Und das, was im besten Fall bleibt, ein warmes, freundschaftliches Gefühl ist. Kann man sich ein Leben lang innig lieben? Sind meine Erwartungen, meine romantischen Phantasien
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