Lackschaden
immerhin habe ich reichlich Emergency Room gesehen und wüsste wenigstens, in welcher Gegend ich auf der Brust rumdrücken müsste. Außerdem wäre es für die Kinder sicherlich grauenvoll dabei zu sein, wenn ihr Opa stirbt. Erst eine nackte Mutter, dann ein toter Opa – ob ein Frischpubertierender wie Mark davon nicht dauertraumatisiert wäre, wage ich zu bezweifeln. Keine Panik, Andrea, versuche ich mich zu beruhigen, er hat ja telefoniert, also kann er auf jeden Fall noch sprechen.
Karlchen schleicht sich an mich heran und drückt seinen kleinen langen Kopf an mein Bein. Mal abgesehen von seiner lästigen Blasenschwäche, für die er ja nichts kann, ist er ein lieber Hund. Die Kinder waren zunächst völlig aus dem Häuschen wegen Karls Einzug. Bis es alle zwei Stunden hieß: »Wer geht mal mit Karl raus?« Am Anfang (etwa einen Tag lang) haben die Beiden fast darum gestritten, mit dem Hund rausgehen zu dürfen, heute stehe ich mit dem obligatorischen Plastikbeutelchen am Feldrand und säusele: »Mach mal ein feines Häufchen!« Karlchen ist, was die Dauer der Spaziergänge angeht, nicht anspruchsvoll (dafür ist er einfach zu alt), er liegt lieber gemütlich rum (was mir an sich sehr sympathisch ist!), aber er ist leider sehr wählerisch, wenn es um den perfekten Ort für sein Pipi geht. Da wird hier geschnüffelt, da gewedelt – und dann doch nichts gemacht. Nicht unbedingt sehr effizient. Nachts geht Rudi mit ihm raus und insgeheim bin ich mir sicher, dass unter diesen Ausflügen auch unser Türschloss sehr gelitten hat. Rudi sieht nicht besonders gut – vor allem nachts nicht – und wenn er dann von seinen kleinen Gassi-Ausflügen zurückkommt, bohrt er auch gerne mal mit dem falschen Schlüssel im Schloss rum.
Apropos Rudi. Ich höre die drei kommen. Zum Glück. Er lebt und kann laufen. Ich bin unglaublich erleichtert und renne nach draußen. Was ich da sehe, lässt mich erstarren. Rudi und meine Kinder tragen schnaufend eine riesige Tür. Eine Haustür.
»Was ist denn das!?«, entfährt es mir zur Begrüßung.
Rudi atmet schwer und sagt: »Eine Tür, Andrea. Absetzen. Danke ihr zwei. Kommt nachher emal hoch zum Opa, und dann gibt’s was!«
»Danke!«, kommt es gleichzeitig von Claudia und Mark. Immerhin – elementare Grundregeln der Höflichkeit scheinen vorhanden.
»Brauchst du uns noch, Opa?«, fragt mein Sohn sogar nach.
»Ne, Kinner, alles gut. Mer lasse die hier im Vorgarte, bis ich soweit mit dem Einbau bin!«
»Was, um alles in der Welt, hat das zu bedeuten?«, frage ich meinen Schwiegervater.
»Des wird dir jetzt net gefalle, was ich dir zu sache hab, Andrea, aber eure Tür war hin. Und da hab isch gedacht, da greifste den junge Leut ma unner die Arme und holst ema e werklisch schöne Tür. Mit allem Drum un Dran.«
Jetzt erst komme ich dazu, die Tür genauer in Augenschein zu nehmen. Sie ist aus Holz, mit einem sehr geschwungenen Türgriff aus Messing und jeder Menge Glas in der Mitte. Gewölbtes Glas, so ähnlich wie Butzenscheiben. Gelblich getönt. Wenn wir in den Alpen, in einem Bauernhaus, leben würden, könnte ich mir vorstellen, dass das eine passende Tür wäre. Keine schöne Tür – aber vom Stil her okay. Sie sieht ein bisschen aus wie eine Tür in einer ländlichen Kneipe, die Art von Tür, die die Wirtsstube vom Kartenspielzimmer trennt. Unsere Haustür ist weiß – weiß, mit Aluminiumgriff. Keinerlei Verzierung, einfach und schlicht. Passend zu unserem Haus.
»Gell, da bist de baff, Andrea«, freut sich Rudi, der mein Schweigen wohl irgendwie fehlinterpretiert. »Ne richtische Tür is halt eben net so en modernes Plastikteil, sondern aus Holz. Des gibt gleich ne ganz anner Atmosphäre.« Er strahlt mich an.
Was nun? Kann ich dem psychisch angeschlagenen Rudi die ganze Wahrheit zumuten? Kann ich ihm sagen, dass ich die Tür scheußlich und geschmacklos finde und wir nicht im Allgäu, sondern in einem piefigen Vorort von Frankfurt leben. Ich schaffe es nicht. Irgendwo in mir drin ist doch so etwas wie ein Herz.
»Ach Rudi«, sage ich, »das war doch nicht nötig, ein neues Schloss hätte es doch völlig getan. Und rein optisch – also, die Tür ist natürlich schon irgendwie schön, aber jetzt zu unserem Haus, also ich weiß nicht recht, ob das so gut zusammenpasst.« Diplomatischer Dienst – ich komme. Besser und feinfühliger ging es wirklich nicht.
»Schätzscher, isch kenn disch, du machst der Sorge wegen dem Preis. Des is mein Einzugsgeschenk,
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