Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lackschaden

Lackschaden

Titel: Lackschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
Vom Netzwerk:
raus. Jetzt sofort. Es langt. Ich muss einfach mal was anderes sehen, was erleben. Ich brauche Ablenkung.
    Wo auch immer, was auch immer. Hauptsache, nicht hier in diesem Haus.
    »Rudi, kannst du heute Nachmittag nach den Kindern sehen? Ich habe was einzukaufen und zu erledigen«, erkläre ich kurz.
    »Gern, Andrea, ich muss eh nach der Tür gucke, da is des kaan Problem. Die zwei un isch komme doch wunnerbar klar!«
    Natürlich kommen sie wunderbar klar. Rudi macht keine Vorschriften, steckt ihnen dauernd ein paar Scheinchen zu und meckert nicht rum. Mit anderen Worten: Er ist der perfekte Erwachsene.
     
    Eine viertel Stunde später verlasse ich das Haus. Einen Schlüssel muss ich nicht mitnehmen. Bis jetzt ist ja ohnehin noch unklar, ob wir heute Abend überhaupt eine Haustür haben werden. Und vor allem – welche …
    Ich gehe und weiß nicht mal, wohin. Natürlich könnte ich eine Freundin anrufen oder wirklich mal einen Lebensmittelgroßeinkauf machen, aber dazu habe ich keine Lust. Mir ist nicht nach Gesellschaft, ich finde mich selbst heute anstrengend genug. Ich muss mich niemandem zumuten. Stattdessen habe ich mir mein Notizbuch mitgenommen und werde versuchen, wieder mal eine Liste zu machen. Listenmachen schafft bei mir oft Abhilfe. Wenn ich mein Hirn sortieren, Ordnung in meine Gedanken bringen will, hilft es mir, Listen zu erstellen. Pro und Contra. Ich werde in die Stadt fahren, einen gigantischen Eisbecher verschlingen und einfach so rumsitzen bis der Abend kommt. Sollen doch hier alle treiben, was sie wollen.
    Als ich ins Auto steigen will, taucht Anita neben mir auf.
    »Hey, wo fährst du denn hin? Ich wollte gerade auf einen Kaffee bei dir vorbeikommen. Hast du es eilig?«
    »Ich fahre in die Stadt, muss ein paar Sachen erledigen. Das mit dem Kaffee müssen wir leider verschieben!«, wimmle ich Anita ab.
    Auf die kann ich momentan sehr gut verzichten. Anita ist unglaublich neugierig und gleichzeitig unglaublich vertratscht. Wahrscheinlich weiß mittlerweile die gesamte Siedlung, wie bescheiden mein Sexleben ist, und Anita will mir jetzt nur noch ein paar nennenswerte Details abringen. Darauf kann ich sehr gut verzichten.
    »Dann gucke ich morgen mal vorbei!«, sagt sie und fügt hinzu: »Du weißt schon, dass ihr keine Haustür mehr habt!«
    Ich bin seit gerade mal fünf Minuten aus dem Haus und Rudi hat schon unsere Tür aus den Angeln gehoben. Was soll’s. Soll halt jeder ins Haus gucken. Ich habe nach meiner Spontanbeichte heute Morgen sowieso das Gefühl, dass ich keine Tür mehr brauche und mein Leben offen für alle auf dem Präsentierteller liegt. Das ist, an sich, mein kleinstes Problem. Während ich den Motor starte, fängt es in meinem Hirn an zu rattern. Wo genau liegt denn eigentlich dein Problem, Andrea, frage ich mich selbst.
    Der Lack ist ab, denke ich, das ist das Problem. Der Lack ist ab, und das in jeder Hinsicht. Optisch gibt es keinen Zweifel. Mit Mitte Vierzig wächst der Aufwand, aber das Ergebnis steht dazu leider nicht mehr im optimalen Verhältnis. An guten Tagen, oder bei schlechtem Licht, gehe ich sicherlich noch als Enddreißigerin durch, aber was nutzt mir das? Ich gehe nun mal stramm auf die Fünfzig zu und an normalen Tagen, oder einem Tag wie heute, ist das auch wirklich kein Geheimnis.
    In meiner Beziehung ist der Lack auch ausgesprochen bröckelig. Zu sagen, dass er ab wäre, würde vielleicht zu pessimistisch klingen, aber viel fehlt jedenfalls nicht. Wir wohnen zusammen in einem Haus, aber leben wir gemeinsam? Wann haben wir das letzte Mal Spaß miteinander gehabt? Unser Sexleben ist eindeutig lackfrei und das Verhältnis meiner Kinder zu mir ist auch nicht geprägt von grenzenlosem Vertrauen. Ich werde geduldet, weil ich in mancher Hinsicht sicherlich praktisch bin. An erster Stelle steht hier garantiert der Versorgungsaspekt. Vor allem für Claudia. Solange ihre Wäsche gemacht wird und ausreichend Nahrung im Haus ist, sind ihre Primärbedürfnisse, was mich angeht, abgedeckt. Ansonsten braucht sie für ihr persönliches Glück nur noch diverse Ladekabel und ihren Laptop. Bei Mark war es bis vor kurzem noch anders. Aber von Tag zu Tag zieht sich auch mein Sohn immer mehr in seine eigene Welt zurück. Eine Welt, in der alles peinlich ist, und zu der ich keinen Zutritt habe. Das macht mich traurig. Für mich ist es noch gar nicht so lange her, dass die zwei süß, verkuschelt und liebesbedürftig waren. Wahrscheinlich sind sie es noch heute, aber wissen es

Weitere Kostenlose Bücher