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Lackschaden

Lackschaden

Titel: Lackschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
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vorbeikomme, umschließe ich mit der Faust fest den Schlüsselbund und fahre mit dem Schlüssel die gesamte Fahrerseite entlang. Es macht ein fieses Geräusch, hinterlässt aber einen herrlich fetten, langen Kratzer. Während der Kotflügel auch noch dran glauben muss, fällt mein Blick auf seine Motorhaube. Demonstrativ sitzt vorne drauf der Stolz aller Jaguarfahrer – ein silberner Jaguar im Sprung. Eine Kühlergrillfigur! Das wäre die richtige Trophäe, überlege ich. Du bist wohl komplett wahnsinnig geworden, meldet sich eine andere Stimme in mir. Doch das wütende Tier, das auch noch in mir ist, will das Tier. »Wenn eine Alarmanlage losgeht«, flüstert die leise Stimme, »dann läufst du so schnell du kannst«, ergänzt die andere. Schon strecke ich die Hand aus, und der Jaguar geht locker und leicht aus der Halterung.
    »Sie gehen wohl auf Nummer sicher?«, fragt da jemand.
    Ich zucke zusammen. Vier Wagen weiter schließt ein älterer Herr gerade sein Auto auf. Der denkt, ich nehme den Jaguar mit, damit ihn niemand klaut.
    »Genau, heutzutage ist ja leider nichts mehr sicher. Man kann überhaupt nichts mehr stehen lassen, nicht mal auf dem Frauenparkplatz!«, antworte ich mit knallrotem Kopf und wummerndem Herz.
    Hoffentlich hat der kein gutes Gedächtnis. Es gibt ja tatsächlich Leute, die nur einen kurzen Blick auf jemanden werfen und aus dem Gedächtnis eine Eins-A-Personenbeschreibung liefern können. Ich gehöre keinesfalls zu diesen Menschen. Selbst, wenn ich dem Phantomzeichner meine Kinder beschreiben müsste, hätte ich Zweifel, ob jemand, anhand dieser Skizzen, meine Kinder identifizieren könnte.
    »Schönen Tag noch«, rufe ich dem Mann zu und drehe mich schnell um. Jetzt aber nichts wie raus hier. Mit dem Jaguar in der Handtasche haste ich zum Ausgang.
    Am liebsten würde ich direkt wieder nach Hause fahren. Aber vielleicht sollte ich die nächsten Stunden erst mal abwarten. Einerseits. Andererseits – wenn der Jaguar-Mann zurückkommt und sieht was passiert ist, wird er sich vielleicht an mich erinnern. Bestimmt wird der sich erinnern! Und wenn er sich an mich erinnert, dann vielleicht auch an mein Auto. Ein Skoda Kombi in Dunkelblau ist kein besonders eindrucksvolles Auto, aber wenn der Typ nicht saublöd ist, wird er sich schon was zusammenreimen können. Ich gehe nur einen Kaffee trinken und dann fahre ich wieder, treffe ich eine Entscheidung. Wenn ich jetzt sofort fahre, wirke ich ja erst recht extrem verdächtig. Aber wenn ich zu lange stehen bleibe, wird der Frauenparkplatzparker mich bestimmt entdecken. Dem darf ich auf keinen Fall begegnen. Ich sollte andere Klamotten anziehen und mir was auf den Kopf setzen. Männer sind keine genauen Beobachter, wenn ich ihm dann in die Arme laufe, dann wird der das nicht zusammenbringen. Eine bessere Ausrede für exzessives Shoppen hatte ich noch nie. Ich muss lachen. Destruktives Verhalten kann einen beflügeln, geht mir durch den Kopf. Der Jaguarklau hat richtig Spaß gemacht. »Hoffentlich haben dich die Kameras nicht im Visier gehabt«, mahnt die ängstliche Stimme in mir. Ich fasse in meine Handtasche und streichle meiner Beute über den kalten Metallkopf. Das beruhigt mich sofort. Der wird mein neuer Glücksbringer, entscheide ich und beginne mit der Operation Shopping.
    Früher war ich eine 38 / 40 und fand mich zu fett. Heute würde ich viel dafür geben, wieder so »fett« wie damals zu sein. Untenrum 42  – obenrum eine gute 40  – das sind meine aktuellen Größen. Nichts, wofür man sich schämen müsste – Durchschnitt eben. Aber Durchschnitt ist nicht angesagt in angesagten Boutiquen.
    Ich werde trotzdem fündig und schlage richtig zu. Trend in diesem Sommer sind Knallfarben, um die ich normalerweise einen großen Bogen mache. Aber heute ist nicht normalerweise. Gewöhnlich schreie ich auch keine wildfremden Kerle an, klaue nicht und zerkratze auch keine Autos. Ich kaufe eine pinke Hose, ein lila T-Shirt und dazu eine knallgrüne Jacke. Auf Wiedersehen Dezenz. Willkommen Farbrausch.
    »Sie können das echt tragen, dieses Colour Blocking!«, unterstützt mich die Verkäuferin bei der Entscheidungsfindung.
    Allein der Ausdruck! Colour Blocking. Noch ein azurblaues Gürtelchen und fertig ist der neue Look. Ich bin eine ganz neue Frau. Auffallend. Bunt. Weg mit dem Dauerschwarz, Grau und Beige. Wer hat eigentlich bestimmt, dass man ab einem bestimmten Alter langsam aber sicher in die Schlammfarbenabteilung zu wechseln hat? Sand,

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