Lackschaden
Redefluss an ihn.
»Und Rudi geht’s besser?«, fragt sie, um dann direkt selbst die Antwort zu geben: »Na ja, wie sagt man so schön, die Zeit heilt alle Wunden, und andere Mütter haben ja auch schöne Töchter.«
Rudi verzieht das Gesicht. Ich habe Angst, er könnte gleich zu weinen anfangen.
»Diese Wunde wird nie heilen!«, sagt er nur knapp. »Es gibt keine zweite Inge.«
Meine Mutter schaut verwundert. Sie ist keinen Widerspruch gewöhnt. »Warten wir es einfach ab!«, beendet sie das Thema. Sie behält gern das letzte Wort. Rudi guckt sie an, als wolle er ihr die Augen auskratzen. Aber wahrscheinlich meint sie es nicht mal böse. Wahrscheinlich ist ihr diese unglaubliche, tiefe und unendliche Liebe nur fremd. So wie augenscheinlich auch mir. Jedenfalls bisher. Ist das was Genetisches? Bekommt man diese Fähigkeit vererbt? Kann man einfach nur lieben – ohne Wenn und Aber? So absolut.
»Andrea, ich habe dich was gefragt!«, unterbricht meine Mutter meine melancholischen Gedanken.
»Was war das noch gleich?«, frage ich zurück. Ich habe die Stimme meiner Mutter einfach ausgeblendet. Abgeschaltet.
»Ob du heute Abend in den Golfclub fährst, zur Siegerehrung und dem Essen?«
»Nein, Mama«, antworte ich, »ich denke nicht.« Eine Erklärung erspare ich mir. Wozu auch, sie würde sie sowieso nicht verstehen. Schade.
Der Nachmittag geht rum. Meine Mutter legt mir noch mal ans Herz, doch in den Golfclub zu fahren.
»Du ziehst dir was Nettes an und überraschst deinen Mann!«
Und dann sind sie weg.
Rudi schaut mich nur mitleidig an. »Harter Brocken!«, ist sein Kommentar, und ich nicke nur.
Christoph kommt weit nach Mitternacht nach Hause. Er ist bester Laune, was sicherlich auch auf das eine oder andere alkoholische Getränk zurückzuführen ist. Im Halbschlaf hält er mir irgendetwas vor die Nase.
»Ich war dritter in meiner Klasse. Zweiundvierzig Nettopunkte. Ich habe mich unterspielt. Es war Wahnsinn. So ein schöner Tag! Guck dir mal den Pokal an!«
Immerhin einer hatte einen schönen Tag. Unterspielt, was auch immer das heißt. Aber es scheint ja was Gutes zu sein. Ich wage einen Blick auf ein ziemlich hässliches, kleines silberfarbenes Teil und hoffe, dass das nicht bedeutet, dass wir eine Vitrine für seine Devotionalien kaufen müssen.
»Kannst du zur Not auch als Zahnputzbecher benutzen!«, versuche ich witzig zu sein.
»Ach, Andrea«, seufzt er, »ich dachte, es ist nicht zuviel verlangt, dass du dich mit mir freust.«
Hat er tatsächlich gedacht, er kommt mitten in der Nacht heim, nachdem er den ganzen Tag weg war, und ich sitze gespannt, seiner harrend, im Sessel und warte auf detaillierte Berichterstattung? Sollte ich jetzt am besten noch eisgekühlten Schampus parat haben und mit ihm auf seine zukünftige Golfkarriere anstoßen?
Ich versuche, meine unterschwellige Wut über den verpatzten Sonntag runterzuschlucken. Schließlich ist er nicht für meine Mutter verantwortlich und letztlich, vielleicht auch nicht, für mich. So steht es doch auch immer in den Frauenzeitschriften: »Für Ihr Glück sind Sie selbst verantwortlich!« Ich weiß das, aber trotz allem habe ich zurzeit das Gefühl, dass das Glück mit mir hadert. Oder mit meinen Ansprüchen? Erwarte ich zuviel? Die immergleiche Frage: Ist das, was ich habe, nicht Glück genug? Alle sind gesund, wir haben keine finanziellen Sorgen, und das Leben gleitet so vor sich hin? Ist eben das das Glück, das man haben kann? Ist dieses Immer-Noch-Mehr-Wollen kindisch und schlicht vermessen?
Christoph verzieht sich ins Bad, und ich drehe mich auf die Seite. Mir ist irgendwie warm. Auch das noch. Kann nicht jemand diesen Hormonen mal Einhalt gebieten? Sollte ich irgendwas nehmen? Würde das auch mein Seelenleben wieder ins Lot bringen? Oder stimmt es, was Sabine sagt: »Ändere was oder arrangier dich.«
Mallorca soll entscheiden!
Ich schwitze mich durch die Nacht.
5
Vor Mallorca liegt noch eine weitere Woche Schule. Dazu der heutige Vorbereitungselternabend für das Fußballcamp. Der wäre natürlich eine herrliche Gelegenheit für Christoph, mal die anderen Eltern kennenzulernen. Er wiegelt ab. »Da geht es doch drum, was die mitnehmen müssen und so. Wo du eh für Mark packst, wäre es doch sinnvoller du gehst!« ist seine geschickte Argumentation.
Natürlich gehe ich. Die Elternabendbesuchsquote liegt bei uns im besten Fall bei 90 zu 10 . Freundlich betrachtet. In 90 von 100 Fällen gehe ich. Christoph nur, wenn ihm so
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