Lackschaden
in Zeiten, in denen Frauen schon zwei Wochen nach der Entbindung aussehen, als hätten sie höchstens eine Zwergmaus geboren, ist die Lage angespannter geworden. Man muss sich mit diesen Wunderfrauen vergleichen, ob man mag oder nicht.
Je länger ich meinen Kleiderschrank durchwühle, umso mehr fällt mir auf, dass ich nichts habe. Also, nichts ist falsch, aber da ist nichts wirklich Aktuelles. Ich habe den Kleiderschrank einer typischen Vorstadtmutti. Jeans, Jeans und noch mal Jeans. Dazu das eine oder andere T-Shirt und etliche Pullis. Sehr aufregend. Selbst alte Cordhosen finde ich noch. Ich brauche dringend neue Klamotten, beschließe ich. Eine finanzielle Investition, die Christoph sicherlich begeistern wird. Als ich zuversichtlich ein altes Sommerkleid anprobiere, muss ich an meine Mutter denken. In dem Kleid, das mal abgesehen von allem anderen, um die Körpermitte ziemlich spannt, sehe ich älter aus als meine eigene Mutter.
Die hatte ich ja vollkommen vergessen. Meine Mutter. Wir sind für heute Nachmittag verabredet. Zum Kaffee und das auch noch bei uns. Ich habe keinerlei Lust und keinen Kuchen. Absagen? Der Gedanke ist schön, aber um meiner Mutter abzusagen, muss man schon eine Eins-A-Ausrede parat haben.
»Mutti, es ist schlecht, Christoph ist heute nicht da!«, wäre eine Möglichkeit. Aber ich kann ihre Antwort direkt hören. »Und, das ist er doch fast nie!« Womit sie selbstverständlich recht hätte. »Mir geht’s heute nicht so gut!« gilt bei meiner Mutter sowieso nicht, und schon deshalb beende ich die Klamottenmusterung, um zum Bäcker zu fahren. Kuchen backen – dazu fehlt mir die Lust.
»Magst du Kuchen?«, frage ich bei meiner Tochter nach. »Oma kommt, ich fahre welchen kaufen.«
»Von mir aus!«, antwortet sie und ich weiß nicht, ob sich das auf den Kuchen oder ihre Großmutter bezieht. In letzter Zeit haben ihre Antworten immer so einen Hauch von Gnädig-Sein. So, als müsse man schon dankbar sein, dass sie überhaupt antwortet. Selbst Mark, mein Sohn, wird von Woche zu Woche wortkarger. Wenn das hier so weitergeht, kann ich bald Selbstgespräche führen.
Wenigstens meine Mutter ist in Plauderlaune. Um nicht zu sagen, sie redet auf mich ein, und ich komme so gut wie gar nicht zu Wort. Wie mein Vater. Aber der kennt das ja schon ewig und scheint es auch nicht weiter schlimm zu finden.
Ich höre mir mal wieder Geschichten von meiner wunderbaren Schwester an. Wie gut die ihre Kinder, ihren Mann, ihr Leben und sogar den Hund im Griff hat. Diese Lobhudelei trägt nicht wirklich zu einem besseren Verhältnis zwischen uns Schwestern bei. Es schürt eine gewisse Konkurrenz. Ich weiß, dass meine Schwester für die Tiraden meiner Mutter nichts kann, aber gute Laune machen sie mir nicht und insgeheim mache ich – wahrscheinlich zu Unrecht – sogar meine Schwester dafür verantwortlich. Obwohl ich nicht weiß, ob sie sich nicht Ähnliches über mich anhören muss.
Eigentlich sollte ich meine Mutter ja mittlerweile kennen, aber trotzdem hoffe ich jedes Mal, sie würde mich besuchen, um eventuell etwas von mir zu erfahren und sich erkundigen wollen, wie es mir geht oder einfach nur mal zuhören.
Meine Eltern finden Christophs Golf-Leidenschaft phantastisch. Wen wundert’s – sie spielen selbst auch Golf. Die Überraschungsreise nach Mallorca – eine grandiose Idee. Meinen zaghaften Einwand, »Aber ihr wisst doch, ich spiele gar kein Golf«, halten sie für kleinlich.
»Man steht nicht immer an erster Stelle, Andrea!«, befindet meine Mutter streng.
Toller Witz! Immer! An erster Stelle! Wäre es nicht eigentlich traurig, müsste ich lachen. So schlucke ich die Bemerkung einfach nur runter. Debatten mit meiner Mutter bringen wenig. Ihr Weltbild ist fest zementiert.
Claudia sagt – wie meistens – nichts. Sie stopft sich drei Stücke Kuchen rein und fragt dann immerhin, ob sie hochgehen könne.
»Ich muss noch was lernen!«, ist ihr Argument.
Natürlich, was sonst. Lernen ist ja definitiv ihre Passion. An der Treppe dreht sie sich noch mal um:
»Und außerdem muss ich mir überlegen, was ich in den Ferien mache. In eurer Planung finde ich ja nicht mal mehr statt!«
»Ach, die Pubertät«, bemerkt meine Mutter nur trocken, »ich erinnere mich, ihr wart furchtbar.«
Mark, inzwischen vom Kicken zurück, schwärmt seinen Großeltern vom baldigen Fußballcamp vor. Rudi sagt fast nichts. Meine Mutter schüchtert ihn ein. Immerhin – einmal wendet sie sich in ihrem
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