Lackschaden
gar keine Ausrede einfallen will. Ich glaube, insgeheim denkt er, das sei Frauensache. So klug, das nicht zu sagen, ist er immerhin.
Ich erinnere mich noch an die Elternabendanfänge. Ich war richtiggehend aufgeregt bei meinem ersten. Wie sind die anderen Eltern, wie die Lehrer? Mittlerweile sitze ich die Zeit ab und hoffe, dass es schnell rum geht. Wirkliche Erkenntnis über mein Kind oder die Schule bringen diese Abende nicht.
So auch diesmal. Eine gute Stunde wird darüber diskutiert, ob die Kinder ein Handy auf die Freizeit mitnehmen dürfen. Die Campleiter sind strikt dagegen. Auch gegen iPods, Pads und wie die ganzen Geräte heißen.
»Eine Woche ohne kann man überleben!«, stellt der Hauptverantwortliche, ein Herr Reimer (übrigens sehr gut aussehend) grinsend fest.
Da hat er die Rechnung ohne einige, wirklich empörte, Eltern gemacht. Ihr Kind ohne Handy, allein in der großen weiten Welt, die in diesem speziellen Fall Hintertaunus heißt. Eine durchaus zivilisierte Gegend mit ausreichend ärztlicher Versorgung, Nahrung und Trinkwasser. Was aber, wenn Matthias Friedrich Heimweh bekommt? Die Stimme seiner Mutter hören muss? Wenn Sam nicht schlafen kann, ohne ein Gute-Nacht-Bussi von Mama, und sei es per Telefon? Was, wenn Lukas Bauchweh bekommt? Wenn man den besorgten Müttern zuhört, hat man das Gefühl, es ginge um einen mehrmonatigen Trip quer durch unwegsames Gelände im Irak. Gefährlich und besorgniserregend.
»Die Jugendherberge hat Telefon. Im Notfall ermöglichen wir Ihren Kindern natürlich einen Anruf«, versucht Herr Reimer die aufgewühlten Anwesenden zu beruhigen. Aber das Recht auf ein eigenes Handy bei Dreizehnjährigen scheint fast schon ein Lebensrecht zu sein.
»Und wenn sie es ausgeschaltet haben und nur im Notfall anmachen?«, wird zäh verhandelt. Meine Güte, als wäre das so schwer zu verstehen. Kein Handy. Manchmal wünscht man sich Zeiten zurück, in denen nicht um jeden Scheiß so diskutiert wurde. Ich bin mit Sicherheit dafür, sich für die eigenen Kinder stark zu machen, aber ist das das richtige Thema? Ist es nicht eigentlich eine gute Idee, mal eine Woche Pause von all den iPhones, Pods und ihren kleinen Freunden zu machen? Stöhnen nicht alle Eltern ständig, dass ihre Kinder zuviel Zeit mit Elektronikschnickschnack verbringen?
Die Essensfrage wird ähnlich engagiert besprochen. Die Mutter von Matthias Friedrich will genau wissen, was auf dem Speiseplan steht.
»Der Matthias Friedrich hat wahrscheinlich eine leichte Laktoseintoleranz. Also – das ist noch nicht definitiv diagnostiziert, der Doktor Bauer ist da noch am Schauen und Prüfen, aber so oder so wäre es gut, wenn ich vorab die Speisepläne bekommen könnte! Der bekommt ganz schnell Darmsausen, wenn er was Falsches isst.«
Wenn man ihr zuhört, könnte man meinen, Matthias Friedrich wäre viereinhalb Jahre alt. Das wird er dann schon merken, wenn er »Darmsausen« bekommt, denke ich nur.
»Gibt es auch Vollkornbrot? Mein Kleiner soll nicht soviel Weißmehl essen!« ist die nächste bedeutende Frage.
Herr Reimer hört sich das alles wirklich geduldig an. Ich weiß nicht, wie der Mann das macht, ich wäre längst ausgerastet. Haut der sich vor solchen Abenden einfach eine Ladung Valium rein? Ist er schon dran gewöhnt? Oder ist er einfach dermaßen gelassen? Rätselhaft. Ebenso rätselhaft ist mir, wo er diese wunderschönen Oberarme her hat. Herr Reimer spielt Fußball, hat aber Arme als würde er Tag und Nacht Liegestützen machen. Beeindruckende Arme. Starke, wohlgeformte Arme. Ich konzentriere mich auf die Arme und genieße den Anblick. Taschengeld ist der nächste Streitpunkt. Herr Reimer ist dafür, dass alle gleichviel Geld mitnehmen. Fünfzehn Euro. Kluger Vorschlag. Ich nicke.
»Aber Paul trinkt kein Mineralwasser, der muss sich Getränke kaufen. Das langt ja dann nicht mit den fünfzehn Euro«, sorgt sich eine Mutter.
»Das Leitungswasser ist wunderbar im Taunus!«, antwortet Herr Reimer nur trocken.
Lustig ist er auch noch. Solche Arme und Witz. Der Kopf ist auch nicht übel. Volles Haar und schöne dunkle Augen.
»Leitungswasser!« Sie guckt gerade so entsetzt, als hätte er ihr vorgeschlagen, ihr Sohn solle dann eben Bier trinken.
»Mache wir doch einfach, was Lehrer sagt!«, kommt da die Stimme von Frau Üzgür aus der letzten Reihe. Außer »Guten Tag«, habe ich sie bisher noch nie etwas sagen hören. Und das, obwohl wir schon einige Sonntage gemeinsam auf dem Fußballplatz
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