Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)
die Saric ihm aus einer halb vergessenen Ecke des Archivs zusammengesucht hatte. Eine Chronik von Jawendor mit sämtlichen Königsgeschlechtern, ein Buch der Flüche, Mythen über Razoreth, den Herrn der sieben Abgründe, und noch etliches mehr. Natürlich hatte Saric den Staub vorher entfernt, aber man sah es den Büchern mit den vergilbten, eingerissenen Seiten noch an, wo sie die vergangenen Jahre verbracht hatten. Neue Erkenntnisse hatte Jaryn noch nicht gewonnen. Das meiste hatte er schon gewusst, das andere half ihm nicht weiter. Über König Doron erfuhr er nichts, was ihm den Mann sympathisch gemacht hätte, aber das war auch nicht der Sinn seiner Suche. Von Söhnen oder überhaupt von Kindern war nicht die Rede. Seine Gemahlin war früh verstorben, danach war er unverehelicht geblieben. Einige Konkubinen wurden namentlich erwähnt, doch auch hier gab es keinen Eintrag über etwaige Kinder.
Leise seufzend und sich reckend, um die Verspannung im Rücken zu lösen, die durch das ständige Gebeugtsein über schwere Wälzer entstanden war, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. Musste er noch mehr Schriften durchsuchen, oder kam er auf diesem Weg nicht weiter? Er befürchtete, dass es sich so verhielt. Da klopfte es an die Tür.
Jaryn schlug auf den kleinen Gong, und Saric trat ein, die Hände ineinander verschränkt, den Blick gesenkt. »Darf ich stören, Erhabener?«
Jaryn winkte ihn heran. »Sprich!« Fahrig räumte er einige Blätter zur Seite. Eine Ablenkung käme ihm jetzt gerade recht, aber an Sarics Gesicht war niemals abzulesen, was er fühlte oder was für eine Nachricht er brachte.
»Eine gute Nachricht, Erhabener. Der schreckliche Mann, der Euch überfallen und Euch das heilige Feuerauge geraubt hat, wurde gefasst. Er sitzt im Jammerturm.«
Jaryns Kopf fuhr herum. Statt leuchtender Freude und satter Befriedigung war in seinen weit aufgerissenen Augen nur grenzenlose Überraschung und sogar Erschrecken zu lesen. Einen Atemzug lang nur, aber er hatte genügt, sich für diese Unbeherrschtheit selbst zu verfluchen. Hatte Saric seine Reaktion bemerkt? Gleichgültig, er selbst wusste, was er bei dieser Nachricht empfunden hatte. Nicht das, was einem Mann in seiner Position angestanden hätte. Ein wahres Chaos von Gefühlen brach über ihn herein und verwirrte seine Sinne.
»Oh, das ist wirklich sehr gut«, plapperte er und fragte, um von sich abzulenken: »Ist es denn sicher, dass es sich um den richtigen Mann handelt? Wurde die Kette bei ihm gefunden?«
»Nein.« Sarics Mund verzog sich, als bereite es ihm Schmerzen, weiterzusprechen. »Er trug – er trug den heiligen Priesterrock, als man ihn gefasst hat.«
»Was?« Jaryn war fassungslos über soviel Dreistigkeit und Schamlosigkeit. Gleichzeitig strömte ihm das Blut zu Kopf, weil er sich erinnerte. Ja, er hatte den alten Rock in seiner Verwirrung zurückgelassen. Weil er nackt gewesen war. Und weil ihm der Räuber einen Köhlerkittel geschenkt hatte. Das durfte nie geschehen sein, er musste es austilgen aus seiner Erinnerung.
»Heiliger Zorn überkommt mich bei deinen Worten, Saric«, rechtfertigte er die Röte von Stirn und Wangen. »Dann hat man ihn also in Margan …? Weiß man, was er in der Stadt gewollt hat?«
»Ja Erhabener. Borrak, der ihn festgenommen hat, dem hat er es gesagt.«
»Er hat es Borrak gesagt?«, wiederholte Jaryn leise, und ein schmerzhafter Druck breitete sich in seiner Magengegend aus. »Hat man ihn lange gefoltert?«
Saric zuckte die Achseln. »Soweit mir bekannt ist, ist ihm bis auf ein paar Schläge nichts geschehen. Ein feiger Hund, dieser Kerl. War auch ohne Folter geschwätzig wie eine Elster.«
Jaryn täuschte eine unbeteiligte Miene vor, während sein Herz wieder ruhiger schlug. »Borrak hat ihm nichts getan, sagst du? Aber er ist ein …« Vieh, wollte Jaryn sagen, verschluckte es aber und fuhr fort: »… ein sehr strenger Hauptmann.«
Saric neigte sein Gesicht noch tiefer auf die gefalteten Hände. »Die Gerüchte sagen, er wolle diesen Gefangenen als ›Leckerbissen‹ – verzeiht Erhabener, aber so drücken sich die Leute aus. Er wolle ihn stark und unversehrt, wenn er auf den Pfahl gespießt wird. Die Menge hat ihn bereits gefeiert, wenn Ihr wisst, was ich meine.«
»Ich verstehe«, erwiderte Jaryn rau. Seine Gedanken überschlugen sich. Zu viele Empfindungen kämpften in seiner Brust, er konnte sie nicht länger beherrschen. Am liebsten hätte er sich schreiend auf dem Boden gewälzt. Aber er
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