Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)
drehte einen großen Schlüssel im Schloss, schob einen rostigen Riegel zurück und stieß sie auf. Dann wich er devot zur Seite, um Jaryn vorbeizulassen.
Der Gestank von verfaultem, ewig nicht erneuertem Stroh schlug ihm entgegen. Jaryn musste sich überwinden, die stockfinstere Zelle zu betreten. »Mach Licht!«, herrschte er den Wärter an. Der reichte ihm seine Laterne, in der sich nur noch ein Kerzenstummel befand. »Mehr, du abscheuliche Kreatur! Hol Fackeln!«
Jaryn hörte den Mann schnaufen. So hatte ihn hier wohl noch niemand genannt, aber er keuchte: »Ja, Erhabener« und lief den Gang hinunter, als sei der Herr der Abgründe persönlich hinter ihm her.
Jaryn hob unsicher die Laterne und leuchtete in die Zelle hinein. Er sah nichts, das Licht war zu schwach, aber er hörte jemanden atmen.
»Rastafan?« Er spürte, wie ihm der Name in der Kehle stecken blieb.
Einen Augenblick blieb es still. Dann kam es zögernd und hoffnungsvoll aus der Ecke: »Jaryn?«
Bei Nennung seines Namens wäre diesem beinahe die Laterne aus der Hand gerutscht, so zitterte sie. Er musste ein paarmal tief Atem holen, bevor er mit beherrschter Stimme antworten konnte: »Ja, aber man redet mich mit Erhabener an.«
Aus der Ecke vernahm er ein spöttisches Kichern. Obwohl es ihn tief hätte kränken müssen, war er seltsam erleichtert, dass es dem Gefangenen offensichtlich den Umständen entsprechend gut ging. Beide schwiegen, und wieder löste sich die Wirklichkeit für einen winzigen Moment auf, gab es keine Kerkermauern, keinen fauligen Geruch mehr, nur das Geräusch ihres gemeinsamen Atmens und das Warten auf etwas Unbegreifliches.
Der Wärter kam mit zwei brennenden Fackeln herbeigehastet und zerstörte den kostbaren Augenblick. Er betrat die Zelle und steckte sie in jeweils zwei Ringe an der Wand. Sofort war der kleine Raum bis in die hinterste Ecke erleuchtet. Jaryn erblickte Rastafan. Er hockte an der Wand, nackt und mit Ketten an Händen und Füßen. Jaryn hatte nichts anderes erwartet und doch fuhr ihm der Anblick wie ein Messer ins Herz. Wo war jetzt der Mann, ganz und gar in Leder gekleidet, mit einem verwegenen Tuch im Haar, den Dolch im Gürtel und den schweren, bis an die Knie reichenden Stiefeln? Der Mann, der ihm den klaren Verstand raubte, der seine Heiligkeit beschmutzt, seine Würde als Sonnenpriester mit Füßen getreten hatte?
Er musste sich kurz ablenken, um seine Fassung zu behalten und das zu tun, weswegen er gekommen war. Mit großem Widerwillen wandte er sich an den Wärter: »Weshalb ist das Stroh nicht ausgewechselt worden?«
Die stumpfsinnige Miene verzerrte sich vor Schreck. »Das – das Stroh?«, stammelte er. »Das wird nur alle zwölf Monate einmal gewechselt.«
»Gibt es hier Ratten?«
»Viele, Erhabener.«
»Dann sorg dafür, dass sie verschwinden, du elender Wicht! Wie kann man Menschen in so eine Zelle stecken?«
Der Mann wäre jetzt gern in ein Mauseloch geschlüpft. »Es ist unsere beste Zelle, Erhabener. Auf Anweisung des Hauptmanns. Der Gefangene ist gut zu behandeln. Wir prügeln ihn nicht einmal.«
»Du hast den Tritt in meine Eier vergessen, Schweinefresse!«, brummte es aus Rastafans Richtung.
»Verschwinde!«, zischte Jaryn dem Wärter zu. Als dieser nur allzu gern dieser Aufforderung Folge leisten wollte, rief Jaryn: »Den Schlüssel!« Der Wärter wollte ihm diesen reichen, doch Jaryn fauchte: »Wag es nicht!« Dann wies er auf die Tür. »Ins Schloss stecken. Und ich will nicht gestört werden, sonst lasse ich dich an deinem verschrumpelten Schwanz aufhängen.«
Der Wärter floh entsetzt. Wahrscheinlich hatte er einen Sonnenpriester noch nie so reden hören.
Jaryn schloss sorgfältig die Tür hinter sich ab. Nun war er mit Rastafan allein. Sie beide gaben ein groteskes Bild ab: der eine im goldenen Gewand, der andere verdreckt und nackt in Ketten. Rastafan bleckte die Zähne. »Wie komme ich zu der Ehre deines Besuchs, Erhabener?« Höhnisch betonte er das letzte Wort.
»Indem du jedes nur erdenkbare Verbrechen begangen hast. Deshalb bist du hier.« Jaryn blieb in drei Schritten Entfernung stehen, die Arme in den Ärmeln des Rockes verborgen. »Ich bin gekommen, um zu sehen, wie das Tier, das mich überfallen hat, gezähmt wurde.«
»Komm näher, Jaryn, dann wirst du erfahren, ob ich zahm geworden bin.«
»Du magst deine Todesangst hinter beherzten Worten verbergen, aber dein Schicksal ist besiegelt. Du wirst gepfählt, weil du dich unbefugt in Margan aufgehalten
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