Lacunars Fluch, Teil 4: Rastafans Buße (German Edition)
fallengelassen werden. Hier traf er auf das größte Unverständnis. Er musste erkennen: Gegen Feinde kann man kämpfen, gegen Dummköpfe nicht.
Manchmal war Rastafan versucht, alles kurz und klein zu schlagen, ein paar Köpfe rollen zu lassen, ein paar Pfähle aufzustellen und Margan danach sich selbst zu überlassen. Kaum von der Kurdurquelle zurückgekehrt, war ihm gerade danach zumute. Wer konnte, mied seine Nähe. Aber Rastafan wollte nicht gefürchtet werden, er wollte fähige Männer um sich haben, die gern mit ihm zusammenarbeiteten und seine Vorstellungen von einer gerechten Herrschaft teilten. Der verhuschte Gehorsam der Diener und Staatsbeamten trieb ihn zum Wahnsinn. Er war offenes Reden unter Gleichgesinnten gewohnt, Probleme kurz und bündig anzusprechen und somit klare Verhältnisse zu schaffen. Doch eine klare Sprache verstanden die Wenigsten.
Saric hockte schon seit zwei Stunden mit gebeugtem Rücken über Stapeln von Pergamenten, sortierte, machte sich Notizen und führte irgendwelche Listen. Rastafan ging die ganze Zeit unruhig auf und ab und schien eigene Gedanken in seinem Kopf zu wälzen, denn er hörte nicht zu, wenn Saric ihn ansprach. Dieser war es nicht gewohnt, seine Stimme zu erheben, und seine bescheidenen Bemerkungen drangen nicht bis zu Rastafan durch.
»Herr!«, rief er jetzt eindringlicher. »Was soll ich mit diesem Schreiben hier …«
»Gar nichts!«, fuhr Rastafan ihm über den Mund. Diesmal hatte er Saric gehört und war abrupt vor ihm stehen geblieben. Er wies mit einer ärgerlichen Armbewegung auf den überfüllten Schreibtisch. »Das alles ist nicht wichtig!«
Saric sah erstaunt auf. »Nicht wichtig? Aber …«
»Nicht vordringlich, meinte ich«, knurrte Rastafan. Er starrte Saric an. »Ich brauche dich für etwas anderes.«
»Ich stehe Euch zu Diensten.«
Über Rastafans Gesicht glitt ein hintergründiges Lächeln. »Das werden wir sehen. Komm mit! Wir gehen in den Sonnentempel.«
Saric erhob sich. »Wollt Ihr Sagischvar sprechen?«
»Nein. Ich will Jaryns Grab besuchen. Aber das braucht keiner zu wissen. Du kannst mich bestimmt ohne Aufsehen in die Königsgruft bringen?«
Ein Leuchten glitt über Sarics Züge. »Selbstverständlich. Das tue ich gern.« Und weil Rastafan offensichtlich wieder in aufgeräumter Stimmung war, wagte er hinzuzufügen: »Darf ich fragen, ob Euer Aufenthalt an der Kurdurquelle erfreulich war und Euren Erwartungen entsprach?«
Rastafan wusste nicht, dass Caelian auf Sarics Veranlassung zur Kurdurquelle aufgebrochen war und dass dieser sich um den Freund Sorgen machte.
»Ich habe angenehme Tage dort verbracht, aber ein König kann sich nicht lange aus seiner Hauptstadt entfernen. Du siehst selbst, dass mich die Geschäfte wieder auffressen.«
Saric sagte nichts, bis sie vor der Steintafel standen, hinter der sich Jaryns Sarg befand. Rücksichtsvoll wollte er sich entfernen, doch Rastafan winkte ihn zu sich. »Geh nicht fort, ich brauche dich hier.«
Saric war ein wenig verwirrt, aber er gehorchte. Rastafan wies auf die Wand mit der eingelassenen Tafel. »Wie bekommt man das auf?«
Saric erschrak heftig über diese Frage, aber er ließ sich nichts anmerken. »Wie man die Kammer öffnet, meint Ihr? Sie kann nicht geöffnet werden, denn sie ist zugemauert, um sicherzustellen, dass die Totenruhe nicht gestört wird.«
»Ich verstehe. Dann muss es eben anders gemacht werden. Hol Hammer und Meißel.«
Saric stieß einen kleinen Schrei aus. »Ihr wollt doch nicht – bei Achay! Ihr würdet die Gedenktafel zerstören und einen ungeheuren Frevel auf Euch laden.«
»Man kann eine neue Tafel anfertigen«, erwiderte Rastafan ungerührt. »Man kann auch die Wand wieder zumauern. Den Frevel nehme ich auf mich, du hast nichts damit zu tun.«
Saric geriet ins Schwitzen, und das nicht, weil die frevelhafte Absicht ihn erschütterte. Er fiel auf die Knie und rang die Hände. »Bitte, Herr, nehmt Abstand von diesem Unrecht. Was wollt Ihr damit erreichen?«
Rastafan stemmte die Fäuste in die Hüften. »Vielleicht will ich nachsehen, ob Jaryn auch wirklich in dem Sarg liegt?« Dabei beobachtete er genau Sarics Reaktion.
Dieser wurde tatsächlich so blass wie der Marmor. »Um des Himmels willen, weshalb sollte Jaryn nicht darin liegen? Ich bitte Euch …«
»Steh auf, Saric, und hol, was ich dir gesagt habe.« Saric wusste nicht, dass er durch sein Verhalten Rastafan in seinem Verdacht bestärkte. Seit dem Verlassen der Kurdurquelle hatte dieser
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