Lacunars Fluch, Teil 4: Rastafans Buße (German Edition)
Verhängnis wieder vorn los.«
»Ja, das sehe ich ein. Ich beuge mich diesem Schicksal. Aber ich möchte ihn nur noch einmal sehen, ein letztes Mal umarmen. Dann mag er auf immer gehen.«
»Möglich, dass dieser Zeitpunkt einmal kommen wird, aber den bestimmt ein anderer. Ich bin dazu nicht berufen.«
»Wer dann?«
»Nun, Jaryn selbst. Er floh vor Euch, das ist Antwort genug.«
Rastafan zögerte, dann erhob er sich ruckartig, als sei er sich seiner demütigen Haltung plötzlich bewusst geworden. Von seiner Niedergeschlagenheit war nichts mehr zu spüren. Er drückte Sagischvar die Hand. »Ich danke Euch. Mir wurde eine große Last von den Schultern genommen. Jetzt wird alles leichter. Ja, Sagischvar, ich werde warten.«
6
Gaidaron war wieder da! Nicht, dass er vorher abwesend gewesen wäre. Er hatte den Mondtempel kaum verlassen. Aber wer ihm zufällig begegnet war, hatte den Eindruck eines Schattens von ihm gewonnen. Dieser Schatten war nun verschwunden. Dafür zeigte sich Gaidaron wieder in seiner ganzen Würde, die einem Fenraond zukam: in altvertrautem Hochmut und gepflegtem Äußeren, das er mit kostbaren Gewändern unterstrich. Sie waren mit echten Silberfäden bestickt, was sich nur die Wohlhabendsten unter den Priestern leisten konnten.
Zu dieser Wandlung hatten zwei Ereignisse beigetragen. An dem Ersten war er selbst beteiligt gewesen. Er hatte bei zwölf Zylonen einen mächtigen Dämon ausgetrieben, der diese zum Selbstmord hatte verführen wollen. Außer einer gelungenen Demonstration seiner Fähigkeiten war er in den Genuss eines deftigen Abenteuers gekommen, von dessen Erinnerung er noch Tage später zehrte. Hinzu kam, dass Suthranna ihn wegen seines Erfolgs gelobt hatte, was schon lange nicht mehr vorgekommen war.
Aber seine ganze Aufmerksamkeit galt seit Kurzem einem Vorfall, der hinter vorgehaltener Hand im Mondtempel die Runde machte: König Rastafan sei wutentbrannt in die Räume Sagischvars eingedrungen und habe diesen bedroht. Keiner wusste Genaues, und niemand wagte, sich näher zu äußern. Mutmaßungen waberten wie dünne Nebel durch die Räume, und Gaidaron hätte ihnen keine Bedeutung beigemessen, wäre dabei nicht der Name Jaryn gefallen. Das hatte ihn hellhörig gemacht. In Gaidaron hakte sich ein vager Verdacht fest. Nichts Greifbares, eine Ahnung nur, als hätte ein flüchtiger Duft ihn gestreift. Aufgeblasene Gerüchte interessierten ihn nicht, aber jedes Gerücht barg einen wahren Kern. Und ein Gefühl sagte ihm, es sei lohnend, sich über diesen Kern Gedanken zu machen.
Was war das für ein Spiel, in dem Jaryn damals die Hauptfigur gewesen war? Und hatte Sagischvar seine Finger in diesem Spiel? Gaidaron überlegte und ließ die Erinnerungen im Geist noch einmal ablaufen: Ein Prinz war gefunden. Es handelte sich um den Sonnenpriester Jaryn. Dann gab es plötzlich einen zweiten Prinzen: Rastafan, einen Räuber aus den Rabenhügeln. Für die Priester eine böse Überraschung. Und da war auch noch das Gesetz, dass es nur einen Prinzen geben darf. Es kam zum tödlichen Zweikampf. Nein, verbesserte sich Gaidaron in Gedanken, Jaryn hat sich Rastafan geopfert. Ein heiliger, unberührbarer Sonnenpriester wurde abgeschlachtet. Sagischvar und Suthranna hatten sich davon nie erholt. Und Rastafan auch nicht, das war vielen bekannt.
Soweit die Vergangenheit. Und nun der Vorfall neulich im Sonnentempel: Was hatte Rastafan so gegen Sagischvar aufgebracht? Er musste etwas erfahren haben, was neu für ihn war und so ungeheuerlich, dass er den Erleuchteten in seinen Privatgemächern bedrohte. Dabei schien es um Jaryn zu gehen.
Sagischvar, so überlegte Gaidaron weiter, hätte alles getan, um Jaryn vor dem Tod zu retten, und Suthranna ebenfalls, denn obwohl er dem Mondtempel vorstand, steckte er mit dem Alten unter einer Decke. Damals waren die beiden Priester machtlos gewesen. Aber waren sie es wirklich? Hatten sie tatsächlich zugelassen und zugesehen, wie Rastafan ihren Schützling Jaryn tötete? Damals hatte Gaidaron nicht daran gezweifelt. Schließlich hatte er den Vorgang mit eigenen Augen beobachtet. Doch plötzlich beschlich ihn Argwohn. Zuviel hatte für alle auf dem Spiel gestanden, und er kannte die Priester, wusste um ihre geheime Macht. Hatten sie damals das wahnwitzige Schauspiel »Der Tod des Prinzen Jaryn« aufgeführt? Hatten sie womöglich alle getäuscht? Gaidaron wagte kaum, das Unmögliche zu denken: War Jaryn noch am Leben?
Gaidaron, mit Intrigen bestens vertraut,
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