L'Adultera
Räte hüteten sich deshalb auch, sich
nach dem letzteren umzusehen, vor allem Duquede,
der, außerdem noch ein abgeschworener Feind aller
Platzübergänge mit Eisenbahnschienen und Pferde-
bahngeklingel, überhaupt erst wieder in Ruhe kam,
als er die schon frisch in Knospen stehende Bellevue-straße glücklich erreicht hatte.
Reiff folgte, schob sich artig und respektvoll an die linke Seite des Legationsrates und sagte plötzlich
und unvermittelt: »Es war doch wieder eine recht
peinliche Geschichte heute. Finden Sie nicht? Und
ehrlich gestanden, ich begreif' ihn nicht. Er ist doch nun fünfzig und drüber und sollte sich die Hörner
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abgelaufen haben. Aber er ist und bleibt ein Durch-
gänger.«
»Ja«, sagte Duquede, der einen Augenblick still
stand, um Atem zu schöpfen, »etwas Durchgängeri-
sches hat er. Aber, lieber Freund, warum soll er es nicht haben? Ich taxier' ihn auf eine Million, seine Bilder ungerechnet, und ich sehe nicht ein, warum
einer in seinem eigenen Haus und an seinem eigenen
Tisch nicht sprechen soll, wie ihm der Schnabel ge-
wachsen ist. Ich bekenn' Ihnen offen, Reiff, ich freue mich immer, wenn er mal so zwischenfährt. Der Alte
war auch so, nur viel schlimmer, und es hieß schon
damals, vor vierzig Jahren: ›Es sei doch ein sonderbares Haus und man könne eigentlich nicht hinge-
hen.‹ Aber uneigentlich ging alles hin. Und so war
es, und so ist es geblieben.«
»Es fehlt ihm aber doch wirklich an Bildung und Er-
ziehung.«
»Ach, ich bitte Sie, Reiff, gehen Sie mir mit Bildung und Erziehung. Das sind so zwei ganz moderne Wörter, die der ›Große Mann‹ aufgebracht haben könnte, so sehr hass' ich sie. Bildung und Erziehung. Erstlich ist es in der Regel nicht viel damit, und wenn es mal was ist, dann ist es auch noch nichts. Glauben Sie
mir, es wird überschätzt. Und kommt auch nur bei
uns vor. Und warum? Weil wir nichts Besseres ha-
ben. Wer gar nichts hat, der ist gebildet. Wer aber so viel hat wie van der Straaten, der braucht all die
Dummheiten nicht. Er hat einen guten Verstand und
einen guten Witz, und was noch mehr sagen will,
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einen guten Kredit. Bildung, Bildung! Es ist zum Lachen.«
»Ich weiß doch nicht, ob Sie recht haben, Duquede.
Ja, wenn es geblieben wäre wie früher. Junggesel-
lenwirtschaft. Aber nun hat er die junge Frau geheiratet, jung und schön und klug...«
»Nu, nu, Reiff. Nur nicht extravagant. Es ist damit nicht so weit her, wie Sie glauben; sie ist 'ne Fremde, französische Schweiz, und an allem Fremden
verkucken sich die Berliner. Das ist wie Amen in der Kirche. Sie hat so ein bißchen Genfer Chic. Aber was will das am Ende sagen? Alles, was die Genfer haben, ist doch auch bloß aus zweiter Hand. Und nun
gar klug. Ich bitte Sie, was heißt klug? Er ist viel klüger. Oder glauben Sie, daß es auf 'ne französische Vokabel ankommt? oder auf den Erlkönig? Ich gebe
zu, sie hat ein paar niedliche Manierchen und weiß
sich unter Umständen ein Air zu geben. Aber es ist
nicht viel dahinter, alles Firlefanz, und wird kolossal überschätzt.«
»Ich weiß doch nicht, ob Sie recht haben«, wieder-
holte der Polizeirat. »Und dann ist sie doch schließ-
lich von Familie.«
Duquede lachte. »Nein, Reiff, das ist sie nun schließ-
lich nicht. Und ich sag' Ihnen, da haben wir den
Punkt, auf den ich keinen Spaß verstehe. Caparoux.
Es klingt nach was. Zugestanden. Aber was heißt es
denn am Ende? Rotkapp oder Rotkäppchen? Das ist
ein Märchenname, aber kein Adelsname. Ich habe
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mich darum gekümmert und nachgeschlagen. Und
im Vertrauen, Reiff, es gibt gar keine de Caparoux.«
»Aber bedenken Sie doch den Major! Er hat alle Sor-
ten Stolz und wird sich doch schwerlich eine Mesalli-ance nachsagen lassen wollen.«
»Ich kenn' ihn besser. Er ist ein Streber. Oder sagen wir einfach, er ist ein Generalstäbler. Ich hasse die ganze Gesellschaft, und glauben Sie mir, Reiff, ich weiß, warum. Unsre Generalstäbler werden überschätzt, kolossal überschätzt.«
»Ich weiß doch nicht, ob Sie recht haben«, ließ sich der Polizeirat ein drittes Mal vernehmen. »Bedenken Sie bloß, was Stoffel gesagt hat. Und nachher kam
es auch so. Aber ich will nur von Gryczinski spre-
chen. Wie liebenswürdig benahm er sich heute wie-
der! Wie liebenswürdig und wie vornehm.«
»Ah, bah, vornehm. Ich bilde mir auch ein zu wissen, was vornehm ist. Und ich sag' Ihnen, Reiff, Vornehmheit ist anders. Vornehm! Ein Schlaukopf ist
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