L'Adultera
nit lang, da hat er sich wieder umg'-
wandt und hat g'sagt: ›'s isch d' Mutter, und lacht auch so, un hat dieselbe schwarze Haar'. Es isch e
schön's Kindle. Findscht nit au?‹ Aber er hat's nit finde wolle und hat nur g'sagt: ›Übertax' es nit. Es gibt mehr so. Un 's ischt e Kind aus 'm Dutzend.‹ Jo, so hat er g'sagt, der garstige Spindelbein: ›'s gibt mehr so, un 's ischt e Kind aus 'm Dutzend.‹ Aber
der gute Herre, der hat's Pätschle g'nomme un hat's gestreichelt. Un hat mi g'lobt, daß i so brav un
g'scheit sei. Jo, so hat er g'sagt. Und dann sind sie gange.«
All das hatte seines Eindrucks nicht verfehlt, und
Melanie war während der Tage, die folgten, immer
wieder auf diese Begegnung zurückgekommen. Im-
mer wieder und wieder hatte die Vreni jedes Kleinste nennen und beschreiben müssen, und so war es
durch Wochen hin geblieben, bis endlich in den gro-
ßen und kleinen Vorbereitungen zum Feste der ganze
Vorfall vergessen worden war.
Und nun war das Fest selber da, der Heilige Abend,
zu dem auch diesmal Rubehns jüngerer Bruder und
der alte Prokurist, die sich zur Rückkehr nach Frankfurt nicht hatten entschließen können, geladen wa-
ren. Auch Anastasia.
Melanie, die noch vor Eintreffen ihres Besuchs allerlei Wirtschaftliches anzuordnen hatte, war ganz Aufregung und erschrak ordentlich, als sie gleich nach
Dunkelwerden und lange vor der festgesetzten Stun-
de die Klingel gehen hörte. Wenn das schon die Gäs-
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te wären! Oder auch nur einer von ihnen. Aber ihre
Besorgnis währte nicht lange, denn sie hörte drau-
ßen ein Fragen und Parlamentieren, und gleich dar-
auf erschien das Vrenel und trug eine mittelgroße
Kiste herein, auf der, ohne weitere Adresse, bloß das eine Wort »Julklapp« zu lesen war.
»Ist es denn für uns, Vreni?« fragte Melanie.
»I denk' schon. I hab' ihm g'sagt: ›'s isch der Herr Rubehn, der hier wohnt. Un die Frau Rubehn.‹ Un do
hat er g'sagt: ›'s isch schon recht; des isch der
Nam'.‹ Un do hab' i's g'nomme.«
Melanie schüttelte den Kopf und ging in Rubehns
Stube, wo man sich nun gemeinschaftlich an das
Öffnen der Kiste machte. Nichts fehlte von den ge-
wöhnlichen Julklappszutaten, und erst als man unten am Boden eines großen Gravensteiner Apfels gewahr
wurde, sagte Melanie: »Gib acht. Hierin steckt es.«
Aber es ließ sich nichts erkennen, und schon wollte sie den Gravensteiner, wie alles andere, beiseite legen, als sich durch eine zufällige Bewegung ihrer
Hand die geschickt zusammengepaßten Hälften des
Apfels auseinanderschoben. »Ah, voilà.« Und wirk-
lich, an Stelle des Kernhauses, das herausgeschnit-
ten war, lag ein in Seidenpapier gewickeltes Päck-
chen. Sie nahm es, entfernte langsam und erwar-
tungsvoll eine Hülle nach der andern und hielt zuletzt ein kleines Medaillon in Händen, einfach, ohne Prunk und Zierat. Und nun drückte sie's an der Feder auf
und sah ein Bildchen und erkannt' es, und es entfiel ihrer Hand. Es war, en miniature, der Tintoretto, den 203
sie damals so lachend und übermütig betrachtet und
für dessen Hauptfigur sie nur die Worte gehabt hat-
te: »Sieh, Ezel, sie hat geweint. Aber ist es nicht, als begriffe sie kaum ihre Schuld?«
Ach, sie fühlte jetzt, daß das alles auch für sie selbst gesprochen war, und sie nahm das ihrer Hand entfal-lene Bildchen wieder auf und gab es an Rubehn und
errötete.
Dieser spielte damit hin und her und sagte dann,
während er die Feder wieder zuknipste: »King Ezel in all his glories! Immer derselbe. Wohlwollend und
ungeschickt. Ich werd' es tragen. Als Uhrgehäng', als Berloque.«
»Nein, ich. Ach, du weißt nicht, wieviel es mir bedeutet. Und es soll mich erinnern und mahnen... Jede
Stunde...«
»Meinetwegen. Aber nimm es nicht tragischer als
nötig und grüble nicht zuviel über das alte leidige Thema von Schuld und Sühne.«
»Du bist hochmütig, Ruben.«
»Nein.«
»Nun gut. Dann bist du stolz.«
»Ja, das bin ich, meine süße Melanie. Das bin ich.
Aber auf was? Auf wen ?«
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Und sie umarmten sich und küßten sich, und eine
Stunde später brannten ihnen die Weihnachtslichter
in einem ungetrübten Glanz.
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