Lady Chatterley (German Edition)
hast du nicht neulich gesagt, du seist ein konservativer Anarchist?» fragte sie unschuldig.
«Und hast du nicht verstanden, was ich damit meinte?» fragte er zurück. «Alles, was ich damit sagen wollte, ist, daß die Menschen sein können, was sie wollen, und fühlen, was sie wollen, und tun, was sie wollen – ganz für sich, wohlverstanden –, solange sie die Form des Lebens und überhaupt den ganzen Apparat intakt lassen.»
Schweigend ging Connie ein paar Schritte weiter. Dann sagte sie störrisch:
«Das klingt, als wollte man sagen, ein Ei kann ruhig faulen, solange es seine Schale heil läßt. Aber verfaulte Eier gehen von ganz allein entzwei.»
«Ich bin nicht der Meinung, daß Menschen Eier sind», sagte er, «nicht einmal Engelseier, mein süßer kleiner Evangelist.»
Er war in Hochform an diesem strahlenden Morgen. Die Lerchen oben über dem Park trillerten hell, und die Zeche dort hinten in der Talsenke puffte stillen Dampf empor. Es war fast wie in den alten Tagen vor dem Krieg. Connie hatte im Grunde gar keine Lust zu diskutieren. Aber sie hatte auch keine Lust, mit Clifford in den Wald zu gehen. Störrisch und widerstrebend ging sie neben seinem Stuhl her.
«Nein», fing er wieder an, «es wird keinen Streik mehr geben, wenn man das Ganze vernünftig anpackt.»
«Wieso nicht?»
«Weil dann jedem Streik von vornherein die Spitze abgebrochen wird.»
«Aber werden die Leute das zulassen?» fragte sie.
«Wir fragen sie nicht danach. Wir machen es, während sie nicht hinsehen – zu ihrem eigenen Besten, zur Erhaltung der Industrie.»
«Auch zu eurem Besten», sagte sie.
«Natürlich! Zum Besten von jedermann. Aber mehr zu ihrem als zu meinem. Ich kann ohne die Gruben auskommen. Sie nicht. Sie verhungern, wenn es keine Gruben mehr gibt. Ich habe noch andere Versorgungsquellen.»
Sie sahen das flache Tal hinauf, zum Bergwerk hinüber und zu den schwarzbedachten Häusern von Tevershall, die wie eine Schlange den Hügel hinaufkrochen. Von der alten braunen Kirche her kam Glockengeläut: Sonntag, Sonntag, Sonntag.
«Aber werden die Arbeiter sich Vorschriften machen lassen?» fragte sie.
«Meine Liebe, sie werden müssen: wenn man behutsam vorgeht.»
«Aber könnte man nicht ein gegenseitiges Abkommen schließen?»
«Durchaus: sowie sie einsehen, daß die Industrie vor dem einzelnen kommt.»
«Aber mußt du denn die Industrie besitzen?» fragte sie.
«Nein. Aber bis zu dem Ausmaß, in dem sie mir gehört – ja, ganz entschieden. Der Besitz persönlichen Eigentums ist jetzt zu einer religiösen Frage geworden – wie er das ja übrigens seit Jesus und dem heiligen Franziskus ist. Der springende Punkt ist nicht : Nimm alles, was du hast, und gib es den Armen, sondern: nutze alles, was du hast, um die Industrie zu fördern, und schaff Arbeit für die Armen. Das ist die einzige Möglichkeit, alle Mäuler zu stopfen und alle Blößen zu bedecken. Alles, was wir besitzen, den Armen zu geben, bedeutete den Hungertod – für die Armen genauso wie für uns. Und ein totaler Hungertod ist kein sehr erstrebenswertes Ziel. Selbst allgemeine Armut ist keine hübsche Sache. Armut ist häßlich.»
«Aber die Ungleichheit?»
«Die ist Schicksal. Warum ist der Planet Jupiter größer als der Neptun? Du kannst nicht die Struktur der Dinge ändern.»
«Aber wenn doch dadurch Neid und Eifersucht und Unzufriedenheit wachgerufen werden», fing sie wieder an.
«Dann tu dein Bestes, dies alles aufzuhalten. Irgend jemand muß Boss sein.»
«Aber wer ist der Boss?» fragte sie.
«Die Männer, denen die Industrie gehört und die die Fäden in der Hand halten.»
Langes Schweigen.
«Mir scheint, es sind schlechte Bosse», sagte sie dann.
«Dann rate du ihnen, was sie tun sollen.»
«Sie nehmen die Rolle als Boss nicht ernst genug», sagte sie.
«Sie nehmen sie viel ernster als du deinen Adel», entgegnete er.
«Der ist mir aufgedrängt worden. Ich will ihn nicht, überhaupt nicht!» brach es aus ihr hervor. Er hielt den Stuhl an und sah sie an.
« Wer drückt sich hier vor der Verantwortung!» sagte er. « Wer versucht hier, vor den Verpflichtungen seiner Rolle als Boss, wie du es nennst, davonzulaufen!»
«Aber ich will die Rolle gar nicht!» lehnte sie sich auf.
«Ach was! Das ist ja Feigheit. Du bist nun mal da hineingesetzt worden, vom Schicksal eingesetzt. Und du solltest danach leben. Wer hat den Bergleuten alles gegeben, was sie haben und was des Habens wert ist: ihre politische Freiheit und ihre
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