Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lady Chesterfields Versuchung

Lady Chesterfields Versuchung

Titel: Lady Chesterfields Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Willingham
Vom Netzwerk:
widerzuspiegeln.
    „Sie haben absolut recht.“ Sie zog die Pelisse fester um sich. „Wir haben für genügend Stoff für Gerüchte gesorgt. Es ist besser, wenn wir uns voneinander fernhalten.“
    Ihre Stimme klang fest, und er fragte sich, wen sie überzeugen wollte. Sie wirkte traurig, und ihre Augen schimmerten von den ungeweinten Tränen. Wehmütig hielt sie den Blick auf die Küste gerichtet, als wisse sie nicht, wann sie England wiedersehen würde, und als sie ihn ansah, wusste Michael, dass sie seine Anwesenheit nicht länger wünschte.
    Die Seeleute begannen, die Taue zu lösen, die Dampfmaschine im Bauch des Schiffs erwachte zum Leben, und langsam entfernte die Orpheus sich vom Kai.
    Michael hätte Lady Hannah gerne getröstet, doch er fürchtete, dass sie sich dann wegen ihres bevorstehenden Exils nur noch schlechter fühlen würde. Also lehnte er sich an die Reling, sah schweigend aufs Wasser und wartete, dass sie ging.
    Doch sie blieb stehen, ihre behandschuhten Hände ruhten auf dem hölzernen Handlauf. Als er zu ihr hinsah, wandte sie den Blick ab. Ihre Wangen waren von der Kälte des Seewinds gerötet, ihre Lippen fest zusammengepresst. Unwillkürlich musste er an den Kuss denken; daran, wie süß und verführerisch ihr Mund geschmeckt hatte.
    „Warum sehen Sie mich so an?“, fragte sie flüsternd und rieb sich fröstelnd die Hände.
    Er konnte sich einfach nicht sattsehen an ihr und prägte sich jede Einzelheit sorgfältig ein: ihre grünen Augen, ihr bezauberndes Gesicht und den sittsam verhüllten Körper, den er so gerne berührt hätte.
    „Möchten Sie sich nicht in Ihre Kabine zurückziehen?“, konterte er umgehend. Er wusste, er forderte sie heraus, doch er musste herausfinden, ob sie ihn loswerden wollte.
    Sie errötete. „Noch nicht gleich“, erwiderte sie und holte tief Luft. „Ich bin überzeugt, dass wir höflich miteinander umgehen können. Und außerdem waren wir uns einig, dass wir uns absolut untadelig verhalten werden.“
    Waren sie das? Er hob eine Augenbraue, was sie indes nicht zu bemerken schien.
    „Als Reisegefährten bleibt uns nichts anderes übrig, sofern wir nicht wollen, dass wir unerwünschte Aufmerksamkeit erregen“, fuhr sie unbeirrt fort. „Wenn wir uns aus dem Weg gehen, sorgt das nur für Gerede. Ich schlage daher einen in jeder Hinsicht schicklichen Umgang miteinander vor.“
    Nur mit Mühe gelang es ihm, seine Meinung für sich zu behalten. Um sich abzulenken, beobachtete er die anderen Passagiere auf Deck.
    „Nun?“, fragte sie. „Ist das für Sie akzeptabel?“
    Sein Blick fiel auf Mrs Turner, und ihm wurde bewusst, dass er nachts nicht auf die alte Frau aufpassen konnte. Er brauchte jemanden, der da war, wenn ihr Gedächtnis sie wieder im Stich ließ.
    Er wandte sich zu Lady Hannah. „Sie wollen so tun, als seien wir Fremde. Als hätte ich Sie nie geküsst.“
    Sie nickte erschauernd.
    „Gut. Wenn Sie mir auch einen Gefallen tun.“ Bevor sie Einwände erheben konnte, redete er weiter. „An Bord befindet sich eine ältere Dame. Ich kenne sie schon seit Jahren. Ihr Name ist Abigail Turner, und sie reist mit mir.“
    Hannah musterte ihn schweigend. „Sprechen Sie weiter“, forderte sie ihn schließlich auf.
    Er trat einen Schritt vor, sodass sie ihn ansehen musste. „Mrs Turner beginnt, vergesslich zu werden. Manchmal erinnert sie sich nicht einmal mehr an ihren Namen oder daran, wo sie wohnt. Sie braucht jemanden, der auf sie achtgibt“, erklärte er ernst und sah Hannah unverwandt an. „Sonst gerät sie womöglich in Schwierigkeiten.“
    Hannah schirmte die Augen mit der Hand vor der Sonne ab und blickte zu einem der weiß und rot lackierten Schornsteinschlote hoch. „Was erwarten Sie von mir?“
    Er sprach lauter, um das Stampfen der Maschine zu übertönen. „Würden Sie gestatten, dass Mrs Turner in einer der Dienstbotenkojen in Ihrer Kabine schläft? Ich kann sie nachts schlecht im Auge behalten, und Graf von Reischor hat keine weiblichen Bediensteten.“
    „Sie kann sich uns anschließen.“ Hannah musterte ihn nachdenklich. „Warum ist Ihnen das so wichtig?“
    Er hatte sich diese Frage nie gestellt, und er wünschte eigentlich nicht, darauf zu antworten. Abigail Turner war nahezu sein ganzes Leben seine Nachbarin gewesen. Sie hatte ihm Süßigkeiten zugesteckt, wenn seine Mutter nicht hinsah, und ihm und Henry gestattet, Ritterburgen aus Decken und alten Kissen zu bauen. Solange er zurückdenken konnte, war sie wie eine liebe

Weitere Kostenlose Bücher