Lady Chesterfields Versuchung
Klasse reisten, und die meisten von ihnen schienen sehr freundlich zu sein. Ihre Befürchtung, dass die Überfahrt strapaziös werden würde, hatte sich angesichts des allgegenwärtigen Luxus an Bord rasch zerstreut.
Dunkelrote Samtportieren zierten jeden Durchgang, und in den dicken bordeauxroten Teppich sanken die Füße regelrecht ein. Die Sofas in den Salons waren mit Utrechter Samt bezogen, die Anrichten aus Walnussholz hatten grün geäderte Marmorplatten. In den Salons hingen imposante Kronleuchter an den Decken und verliehen den Räumen das Flair von Ballsälen.
Auf dem Podium im Gesellschaftsraum probte ein Streichquartett sein Repertoire, und Hannah entdeckte Lieutenant Thorpe, der in der Nähe stand und ihr den Rücken zuwandte. Er sah aus, als fühle er sich vollkommen fehl am Platz.
Im ersten Moment war sie versucht, auf der Stelle kehrtzumachen. Er hatte sie noch nicht bemerkt, sodass auch keine Veranlassung für sie bestand, ihn zu grüßen. Wenn sie jetzt ging, würde er nie erfahren, dass sie da gewesen war.
Du bist ein Feigling, warf ihr eine Stimme in ihrem Innern vor. An diesem Morgen hatte er es geschafft, sie einzuschüchtern, ohne sie auch nur zu berühren. Hannah presste sich die Hand auf die Brust und versuchte, ruhig zu atmen. Allein bei der Erinnerung beschleunigte sich ihr Pulsschlag.
Thorpe sah ungewöhnlich gut aus, wenn auch auf eine ungezähmte Art. Daran änderte auch die neue Garderobe nichts, die er inzwischen trug. Er war unberechenbar und genauso gefährlich, wie er behauptet hatte.
Unvermittelt wandte er sich um und sah sie an. In seinem Blick lag nichts von der distanzierten Höflichkeit eines Gentlemans. Vielmehr betrachtete er sie auf eine Art und Weise, als würde er sie am liebsten irgendwohin entführen, wo er mit ihr allein sein konnte.
Bei der Vorstellung begann ihre Haut vor Erregung zu prickeln.
Sie bedeutete Estelle mit einer Handbewegung, sich diskret im Hintergrund zu halten, und lächelte dem Lieutenant höflich zu. Sie würde ihn nur eben begrüßen und dann rasch das Weite suchen. Doch als sie neben ihn trat, drehte er sich von ihr fort.
Die schornsteinseitige Wand des Salons war mit Spiegeln verkleidet, weiß-gold gemusterte Tapeten schmückten die übrigen Wände. „Interessieren Sie sich für das Tapetenmuster?“, fragte Hannah belustigt. „Es ist hübsch, doch auch ein wenig langweilig, wie ich finde.“
„Ich lausche der Musik“, erwiderte Thorpe nüchtern. „Und versuche, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen.“
Es stand zu bezweifeln, dass ihm das gelingen würde. Ein hochgewachsener, gut aussehender Mann wie er zog die Blicke auf sich, ohne sich eigens darum bemühen zu müssen. Von seinem befehlsgewohnten Auftreten ganz zu schweigen.
„Sie haben nicht die Voraussetzungen zum Mauerblümchen.“
Er streifte sie mit einem Seitenblick. „Bevor Sie kamen, war ich ganz erfolgreich in meinem Bemühen, unauffällig zu bleiben. Niemand hat sich mir genähert.“
„Weil jeder, der es versucht, weiß, dass er Gefahr läuft, zu Boden oder gegen eine der Spiegelwände geworfen zu werden.“ Sie trat einen Schritt zurück.
„Gut möglich.“ Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, wie Hannah erleichtert feststellte. Anscheinend war er wieder versöhnt mit ihr.
„Was wollen Sie, Lady Hannah?“
„Eigentlich nichts. Aber es kam mir unhöflich vor, ohne einen Gruß wieder zu gehen.“
„Sie haben mich begrüßt, Pflicht erfüllt.“
Sie beschloss, sich von seiner abweisenden Art nicht brüskieren zu lassen. „Sie fühlen sich nicht wohl in dieser Umgebung, habe ich recht? Zwischen all dem Prunk hier?“ Sie machte eine Handbewegung, die die luxuriösen Einrichtungsgegenstände umfasste.
„Ich wäre lieber auf dem Schlachtfeld. Feinde erschießen“, erwiderte er leicht belustigt, während er grimmig zu einer Gruppe älterer Damen blickte, die sich angeregt unterhielten.
Hannah folgte seinem Blick. „Zielscheiben?“, fragte sie amüsiert.
„Was für ein verführerischer Gedanke.“ Er bemerkte zwei Herren, die sie ungeniert anstarrten. „Ich schätze, ohne Anstandsdame sollten Sie sich nicht mit mir unterhalten.“
„Meine Zofe ist bei mir.“ Mit dem Kinn deutete Hannah zu Estelle. „Außerdem sind wir bereits miteinander bekannt gemacht worden. Abgesehen davon könnten Sie auch mein Bruder sein.“
Sein träges Lächeln sandte ihr einen prickelnden Schauer über die Haut.
„Ich hege alles andere als brüderliche
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