Lady Chesterfields Versuchung
sich. „Lieutenant Thorpe hat sich bereit erklärt, mich in einer militärischen Angelegenheit nach Lohenberg zu begleiten.“
„Wie schön für Sie, dass man Sie mit etwas so Wichtigem betraut hat“, entgegnete Lady Hannah, und Michael beschlich der Verdacht, dass sie versuchte, mehr Informationen über die Art seines Auftrages zu erhalten.
Doch er wollte nicht, dass sie etwas von der Vermutung des Grafen über seine Herkunft erfuhr. Stattdessen versuchte er, das Gespräch wieder auf sie zu lenken. „Wann hat Ihr Vater beschlossen, Sie diese Reise antreten zu lassen?“
„Vor ein paar Tagen.“ Hannah zupfte an einem ihrer Handschuhe, und verlegenes Schweigen breitete sich aus.
Exil wäre wohl ein angemessener Ausdruck für das, was ihr bevorsteht, dachte Michael. Man schloss die Prinzessin zu ihrer eigenen Sicherheit in einem Turm ein.
„Wenn Sie mich einen Moment entschuldigen würden?“ Der Graf lächelte höflich. „Ich muss die Kabinenverteilung mit dem Kapitän besprechen. Ich bin in ein paar Minuten zurück.“ Mit einem Handzeichen bedeutete er Hannahs Dienerin, als Anstandsdame in der Nähe zu bleiben.
„Wie konnte Ihr Vater ausgerechnet von Reischor zu Ihrer Reisebegleitung ernennen?“, fragte Michael leise, sobald der Graf außer Hörweite war. „Hat er den Verstand verloren?“
Im ersten Moment war Hannah zu überrumpelt, um zu antworten, erlangte die Fassung jedoch rasch zurück und reckte das Kinn. „Papa wünscht, dass ich einen passenden Gentleman aus dem Ausland heirate, und Graf von Reischor zählt viele Aristokraten zu seinen Bekannten.“
Das überraschte ihn nicht. Lady Hannah gehörte der vornehmen Gesellschaft an, sie war zu blaublütig, als dass sie sich mit weniger zufriedengeben konnte. Und wenn sich in London kein Heiratswilliger fand, würde der Einfluss ihres Vaters eine lohnende Heirat mit einem ausländischen Verehrer garantieren.
„Und solange er einen wohlklingenden Titel und genügend Geld hat, spielt alles weitere auch keine Rolle, nicht wahr?“ Die Worte waren heraus, ehe er sie zurückhalten konnte, und sobald er sie gesagt hatte, schämte er sich.
Hannah reagierte mit bewundernswerter Ruhe und ließ sich nicht anmerken, ob er ihre Gefühle verletzt hatte. „Man würde mir niemals gestatten, einen Mann zu ehelichen, der nicht über ausreichende Mittel verfügt, um mir einen angemessenen Lebensstil zu ermöglichen.“
„Ihr Vater würde Ihnen auch nicht gestatten, einen Kaufmann zu heiraten, meine Liebe. Selbst dann nicht, wenn er eine Million Pfund besäße.“ Männer wie der Marquess waren einzig und allein daran interessiert, dem Familiennamen zu noch mehr Ehre zu verhelfen. „Je klangvoller der Titel, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Vater einer Heirat zustimmt.“
„Es gibt auch gute Männer unter den Titelträgern“, erklärte sie trotzig. „Nicht alle sind wie Belgrave. Die meisten wissen es zu schätzen, wenn eine Frau tugendhaft ist und ihnen ein angenehmes Heim zu bieten versteht.“
„So wie Sie?“
Als sie errötete, hätte er sich die Zunge abbeißen können. An nichts von dem, was geschehen war, trug sie Schuld. Eigentlich hätte er ihr versichern müssen, dass sich nichts geändert hatte, dass sie immer noch dieselbe Frau war wie zuvor. Doch das wäre eine Lüge gewesen. Sie würde niemals wieder dieselbe sein. Nicht mit einem Skandal, der seinen unheilvollen Schatten auf sie warf.
Und er selbst hatte sich auch nicht gerade wie ein Gentleman benommen, sondern ihre Unschuld schamlos ausgenutzt – indem er ihr Küsse gestohlen und sie an verbotenen Stellen berührt hatte.
Im Augenblick war sie nach außen hin die perfekte Dame. Jeder Knopf geschlossen, jede Haarsträhne dort, wo sie liegen sollte. Sie glich in nichts der Frau, die ihm in der Gartenlaube die Arme um den Nacken geschlungen und seinen Kuss leidenschaftlich erwidert hatte.
Da der hohe Kragen der Pelisse ihren Hals verdeckte, erkundigte er sich: „Haben Sie Ihr Collier gefunden?“
„Ja. Sie hätten es mir auch persönlich geben können.“ In ihrem Ton lag ein leichter Vorwurf.
„Ich dachte, es wäre das Beste, wenn wir uns nicht wiedersehen“, entgegnete er schärfer als beabsichtigt.
Eine Windböe fuhr unter die Krempe von Lady Hannahs Hut, und sie hielt die Schute fest, ohne den Blick von den Möwen zu lösen, die das Schiff umflogen. Ihre grünen Augen wirkten an diesem Morgen beinahe grau und schienen die Farbe des aufgewühlten Wassers
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