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Lady Chesterfields Versuchung

Lady Chesterfields Versuchung

Titel: Lady Chesterfields Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Willingham
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auf einen hochlehnigen Holzstuhl auf dem Treppenpodest.
    „Wie du wünschst“, erwiderte er und wandte ihr verärgert den Rücken zu. Was war bloß in sie gefahren? Weshalb verhielt sie sich mit einem Mal derart untertänig?
    Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, wurde er in ein Empfangszimmer geführt. Die Männer des Grafen halfen ihrem Herrn auf einen Stuhl. Von Reischor standen vor Anstrengung die Schweißperlen auf der Stirn.
    „Lieutenant Thorpe.“ Der Graf richtete sich halb auf. „Ihre Durchlaucht, Fürstin Anna von Lohenberg lässt bitten.“ Er deutete zur gegenüberliegenden Wand, in der sich eine Tür befand, die Michael zuvor nicht wahrgenommen hatte. „Die Fürstin spricht übrigens fließend Englisch. Sie werden mich also nicht als Dolmetscher brauchen.“
    Michael durchquerte das Vorzimmer, öffnete die Tür und betrat den angrenzenden Raum – einen hübschen kleinen Salon, in dem eine Frau auf einem Sofa saß und aus einem mit Eisenstäben vergitterten Fenster starrte. Auf dem Sessel ihr gegenüber saß eine Hofdame, die den Kopf eifrig über eine Nadelarbeit gebeugt hielt.
    Michael wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Es war das erste Mal, dass er vor eine Fürstin trat; obendrein eine Fürstin, die möglicherweise seine leibliche Mutter war. Er beschloss, einfach an den Türrahmen zu klopfen.
    „Durchlaucht …“, begann er zögernd.
    Beim Klang seiner Stimme wandte die Fürstin ihm den Kopf zu. Als sie ihn erblickte, weiteten sich ihre Augen ungläubig, und ihre Hände fingen an zu zittern. „Komm näher“, bat sie ihn leise.
    Michael bemerkte die Tränen in ihren Augen und erkannte, dass sie keineswegs den Verstand verloren hatte, wie alle behaupteten. Ihre Augen hatten die gleiche haselnussbraune Farbe wie seine, und auch ansonsten ähnelten sich ihre Gesichtszüge sehr.
    „Graf von Reischor teilte mir mit, dass er dich gefunden hat. Ich habe ihm nicht geglaubt.“ Mit einer Handbewegung bedeutete Anna ihm, neben ihr Platz zu nehmen, und zögernd kam Michael ihrer Aufforderung nach.
    Das Haar der Fürstin war noch von keiner einzigen grauen Strähne durchzogen und mit juwelenbesetzten Nadeln kunstvoll aufgesteckt. Sie trug ein Kleid aus schwarzem Moiré, das mit schwarzen Samtpaspeln verziert war.
    „Sie behaupteten, ich sei verrückt geworden, als ich darauf beharrte, dass der Junge nicht mein Sohn ist. Niemand hat mir geglaubt.“ Die Fürstin starrte ihn an. „So, wie du aussiehst, könntest du mein verlorener Sohn sein. Bist du es wirklich?“
    „Ich weiß es nicht“, gestand er, aber etwas an der Stimme der Fürstin klang seltsam vertraut. „Ich dachte, ich wäre Michael Thorpe. An ein anderes Leben erinnere ich mich nicht. Auch nicht an dieses Land oder Menschen von hier.“
    Sie streckte die Hand aus. „Darf ich?“ Als er nickte, berührte sie seine Wange und musterte ihn forschend. „Wie bist du nach London gekommen?“
    „Abigail Turner behauptet, mich entführt zu haben, als man ihr drohte, ihren Ehemann umzubringen. In den vergangenen dreiundzwanzig Jahren hat sie mich in London versteckt.“
    „Abigail Turner“, wiederholte die Fürstin wütend. „Sie verdient den Tod für das, was sie getan hat.“
    „Sie hat mir das Leben gerettet“, gab Michael zu bedenken. Er berichtete, was Mrs Turner ihm erzählt hatte. Die Fürstin lauschte, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Ihr Gesichtsausdruck gab nichts von ihren Gefühlen preis.
    „Ich könnte es Ihnen nicht verdenken, wenn Sie kein Wort von dem glauben, was Sie gerade gehört haben“, schloss er. „Warum sollten Sie auch? Ich bin ein Fremder, der behauptet, Ihr Sohn zu sein.“
    „Du willst den Thron gar nicht, habe ich recht?“
    „Nein.“ Erregt sprang er auf und begann, im Raum auf und ab zu marschieren. „Ich würde es vorziehen, wenn Mary Thorpe wirklich meine Mutter gewesen wäre und ich mein Leben als Lieutenant der britischen Armee wieder aufnehmen könnte.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und wechselte vom Englischen in die lohenische Mundart. „Aber ich kann meine Albträume nicht länger ignorieren. Oder die Tatsache, dass ich das Lohenische beherrsche.“
    Als er sich der Fürstin zuwandte, bedachte sie ihn mit einem durchdringenden Blick. „Du bist kein Lieutenant.“ Sie erhob sich und kam auf ihn zu. „Zeig mir deine linke Wade.“
    Er schob sein Hose ein Stück hoch und den Strumpf ein wenig nach unten, sodass die Narbe zu sehen war.
    Fürstin Anna

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