Lady Chesterfields Versuchung
Audienz bei der Fürstin verschaffen kann?“
„Ich bin dessen sicher.“
„Aber was ist mit der Leibwache? Der Prinz hat uns befohlen, das Land zu verlassen. Bestimmt wird man uns keinen Zutritt gewähren.“
„Bisher haben sie uns nicht gesehen. Im Augenblick glauben sie noch, dass der Botschafter der Fürstin lediglich seine Aufwartung macht.“
Nahezu zwei Stunden mussten sie ausharren, ehe der Graf zu ihnen zurückkehrte. Als seine Diener ihn in die Kutsche bugsiert hatten, wirkte er erschöpft, aber zufrieden. „Die Audienz wurde gewährt“, sagte er zu Michael und lehnte sich auf der gepolsterten Sitzbank zurück. „Der Fürst hat zugesagt, uns zu treffen, und damit Prinz Karls Anweisungen außer Kraft gesetzt.“
„Was ist mit der Fürstin?“, fragte Hannah eifrig. „Empfängt sie uns auch?“
Der Graf nickte. „Wir treffen sie sogar noch vor unserer Audienz bei Fürst Georg. Allerdings müssen wir umsichtig vorgehen, denn Ihre Durchlaucht wurde schon vor Jahren unter Hausarrest gestellt. Sie lebt in einem der Türme und bekommt nur selten Besuch, daher rate ich dringend, nichts zu tun oder zu sagen, was sie aufregen könnte.“
Ob die Fürstin ähnlich wie Abigail Turner unter gelegentlichen Anfällen leidet? fragte Michael sich. Oder war sie dauerhaft in einer Wahnwelt gefangen?
Die Diener halfen dem Grafen aus der Kutsche und abermals in den Rollstuhl. Michael zog seine Handschuhe an und versuchte, der wachsenden Befürchtungen und Hoffnungen, die sich seiner bemächtigten, Herr zu werden.
Plötzlich zog Hannah den Schlag noch einmal zu. „Wenn du gleich im Schloss bist, gestatte niemandem, dich anzufassen“, sagte sie mit gesenkter Stimme. „Einen Menschen von fürstlichem Geblüt darf man nur mit dessen ausdrücklicher Erlaubnis berühren.“
Michael nickte und versuchte, sich ihre Worte einzuprägen.
„Warte, bis ein Bediensteter dich fragt, ob er dir deinen Mantel abnehmen darf“, fuhr sie leise fort.
Entgeistert sah er sie an. „Bedeutet das, dass ich mir meinen Mantel nicht selbst ausziehen soll?“
„Von nun an sind andere dafür zuständig, dich an- und auszukleiden“, erwiderte sie. „Man wird dir einen Kammerdiener zuweisen, und du musst ihm gestatten, seine Pflichten zu erfüllen.“
„Als wäre ich ein kleines Kind?“
„Nein, es ist dein Geburtsrecht, dass andere dir zu Diensten sind.“
„Was ist, wenn ich mich weigere?“
„Das darfst du nicht.“ Flüchtig sah sie zum Schloss. „Es gibt schon jetzt genug Menschen, die daran zweifeln, dass du der rechtmäßige Erbprinz bist.“ Sie nahm seine Hand. „Vertrau mir. Es wird leichter für dich, wenn du dich an die Regeln hältst.“
Michael sah auf ihre verschränkten Finger. Hannah versuchte, ihre Hand zurückzuziehen, aber er hielt sie fest umklammert. Er konnte spüren, dass sie seinen Ring nicht unter dem Handschuh trug.
„Was soll ich denen da draußen erzählen?“, fragte er schroff. „Dass du meine Übersetzerin, meine Geliebte oder meine Ehefrau bist?“
Er hatte mit einem entschiedenen Widerspruch gerechnet und mit dem Hinweis, dass sie nur ein paar Tage bleiben würde. Umso mehr verwunderte es ihn, Schmerz in ihrem Blick aufflackern zu sehen. Mit ihren klaren grünen Augen sah sie ihn an, als habe er sie mitten ins Herz getroffen. Es dauerte eine Weile, bevor sie antwortete.
„Sag ihnen, was du willst.“
Warum in drei Teufels Namen konnten Frauen eigentlich nie geradeheraus äußern, was sie dachten? Stattdessen waren sie geübt darin, ihre wahren Gedanken mit nichtssagenden Floskeln zu verschleiern.
Ein Diener öffnete den Schlag, und Michael wurde unbehaglich zumute, als er an das bevorstehende Treffen mit der Fürstin dachte. Er stieg aus der Kutsche und wollte Hannah die Trittleiter herunterhelfen.
„Das darfst du nicht“, wisperte sie ihm zu. „Als Angehöriger des Fürstenhauses musst du es einem Diener überlassen, mir behilflich zu sein.“
Es fiel ihm schwer zu glauben, was er da hörte. Erwartete sie wirklich von ihm, dass er sich aufführte wie jemand, der glaubte, ihm gehöre die Welt? Da sie ihm in gebührendem Abstand folgte, lag er mit seiner Vermutung wohl richtig.
Zwei Diener trugen den Grafen die Turmtreppe hinauf zu den privaten Gemächern der Fürstin. Michael und Hannah folgten ihm. In der Tür blieb Michael stehen, um Hannah den Vortritt zu lassen, doch sie schüttelte den Kopf. „Das ist deine Audienz, nicht meine. Ich warte hier auf dich.“ Sie deutete
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